Eigene Forschungen

Freitag, 13. Juli 2012

DER SCHWANZ DES SKORPIONS


LA CODA DELLO SCORPIONE
Italien, Spanien 1971

Regie:
Sergio Martino

Darsteller:
George Hilton,
Anita Strindberg,
Alberto de Mendoza,
Ida Galli,
Janine Reynaud,
Luigi Pistilli,
Tom Felleghy,
Luis Barboo



„Wahrscheinlich ein Sexualtäter. Allerdings fehlen auch eine Million Dollar.“


Inhalt:

Der Gatte Lisa Baumers [Ida Galli] macht den Abflug – im wahrsten Sinne des Wortes, geht sein Flugzeug doch gleich zweimal in die Luft: erst regulär, dann per Bombe. Die ohnehin nicht besonders große Trauer der untreuen Ehefrau wird im Anschluss durch ein stattliches Erbschaftssümmchen abermals gemildert. Als sie sich nach Athen begibt, um die Summe in Empfang zu nehmen, hat sie jedoch plötzlich den Versicherungsagenten Peter Lynch [George Hilton] am Hacken. Dieser glaubt nämlich nicht so ganz daran, dass Lisa am Ableben ihres Mannes völlig unschuldig ist. Doch nicht nur Lynch setzt der frischgebackenen Witwe zu: Auch die geheimnisvolle Lara [Janine Reynaud] nebst vernarbtem, sonnenbebrilltem „Anwalt“ Sharif [Luis Barboo] taucht auf einmal auf. Als Geliebte des Verblichenen verlangt sie die Hälfte des Geldes, ansonsten würde sie der Polizei vermeintliche Mordbeweise zukommen lassen. Zwar kann Lynch sie aus ihrer bedränglichen Situation befreien (ist halt immer gut, nen Versicherungsagenten auf seinen Fersen zu haben), doch nun fängt auch noch ein maskierter Messer-Jocke an, mit dem Fall in Verbindung stehende Leute aufzuschlitzen. Die Polizei ist ratlos und verdächtigt irgendwie alle zugleich. Währenddessen tut sich Lynch (in vielerlei Hinsicht) mit der attraktiven Reporterin Cléo Dupond [Anita Strindberg] zusammen, um Licht in die mysteriöse Angelegenheit zu bringen. Doch dann geraten auch sie in das Visier des Killers …

Kritik:

Der Giallo, die in Italien entstandene, gewalthaltige Subkategorie des Kriminalfilms, hatte sich Anfang der 70er endgültig als eigene Kunstform etabliert und erlebte in den folgenden Jahren eine wahre Blütezeit. DER SCHWANZ DES SKORPIONS, 1971 von Sergio Martini mit deutlichen Anleihen an die Thriller Alfred Hitchcocks gedreht, erweist sich dabei als äußerst linientreuer Genrebeitrag, der die Grenzen der Glaubwürdigkeit bewusst missachtet, um dafür gediegene Spannungsmomente, ungewöhnliche Kameraeinstellungen und blutgetränkte Tötungsakte in den Fokus zu rücken. Im direkten Vergleich zu dem vom Regisseur im selben Jahr entstandenen, wesentlich versierterem DER KILLER VON WIEN ist DER SCHWANZ DES SKORPIONS zwar ein Rückschritt, gepflegt bei Laune hält die stellenweise recht rüde Mörderhatz dennoch. 

Dem etwas konfusen, doch nicht uncleveren Skript gelingt es, so manche falsche Fährte zu legen, um Zuschauer wie Protagonisten mehr als einmal in die Irre zu führen. Angereichert mit etwas Action (wie die schwindelerregend gefilmte Verfolgung über eine Wendeltreppe), einer Prise nackter Haut und einer gesunden Portion schrägen Humors ergibt das einen zwar nicht sensationell originellen, aber doch sehr wohlschmeckenden Unterhaltungscocktail, der zwar oftmals droht, sich in seiner Vielzahl an Winkelzügen und Wendemanövern zu verfangen, doch schließlich zu einer wenn auch nicht unbedingt plausiblen, so doch zumindest passablen Lösung gelangt. Dabei gibt sich die zu Grunde liegende Handlung hier erstaunlich geerdet: Ist der typische Giallo in seiner Thematik häufig stark sexuell aufgeladen, das Tat-Motiv oft mit einem traumatischen Kindheitserlebnis verwurzelt, so bewegt man sich hier auf geradezu mustergültig altmodischem Krimi-Terrain, mit dem selbst die Urgroßmutter noch etwas anfangen kann: Es geht um Versicherungsbetrug und Verleumdung, um Erpressung und Erbschleicherei, um Gier und Geld.

So konventionell das inhaltlich auch scheinen mag, so experimentell geriet das in der Ausführung: DER SCHWANZ DES SKORPIONS bietet eine erquickliche Vielzahl an schrägen Blickwinkeln, optischen Verzerrungen und fotographischen Sperenzchen, was seinen bizarren Höhepunkt erreicht, als sich die Kamera während eines Polizeiverhörs plötzlich quer legt und das Geschehen um 90° Grad verdreht hochkant präsentiert. Solche Spielereien mögen auf den ersten Blick sinnlos erscheinen, sorgen jedoch für einen erfrischenden Aufbruch konventioneller Sehgewohnheiten. Doch auch abseits der rein visuellen Komponente mangelt es nicht an höchst effektvollen Augenblicken: So findet Lisas anfänglicher Ehebruch in Parallelmontage zum Flugzeugunglück statt – auf dem Höhepunkt des Aktes explodiert makabererweise die Maschine ihres Mannes (schade, dass der böse Sarkasmus dieser Szene durch den lausigen Kinderzimmer-Spezialeffekt zerstört wird). Und in einer späteren Szene bangt eine Dame um ihr Leben, als sie feststellen muss, dass der Mörder gerade im Begriff ist, die schützende Tür zu durchbrechen. Zwecks Abwehrung des Angreifers hechtet die Frau zur Tür – genüsslich in Zeitlupe zelebriert, die Augen voll panischer Angst. Ein kleiner Moment zwar nur, aber dennoch großes Kino!

Einen zusätzlichen Reiz bezieht DER SCHWANZ DES SKORPIONS aus der häufigen Verschiebung seiner Haupt- und Sympathiefiguren: Vermeintlich zentrale Protagonisten verlassen die Handlung wieder, scheinbar böswillige Charaktere enden als hilflose Opfer und von jedem Verdacht befreite Personen haben plötzlich Dreck am Stecken. Bis zum Schluss bleibt unklar, wem hier eigentlich zu trauen ist - ein willkommener Anlass zum fröhlichen Mörderraten.

In der Hauptrolle erlebt man George Hilton [→ EIN HALLELUJA FÜR DJANGO] – von bösen Zungen gern als talentfreie Zone verschrien, schlägt er sich als Versicherungsagent Peter Lynch doch sehr wacker und legt seine Rolle ähnlich der von Cary Grant in VERDACHT an. So steht er nicht nur für die ermittelnden Beamten, sondern auch für den Zuschauer häufiger mal in Verdacht, selbst der Täter zu sein. Die Figur Anita Strindbergs [→ DER MANN OHNE GEDÄCHTNIS] als Reporterin Cléo wird reichlich spät (und auch dramaturgisch etwas holprig) eingeführt, aber ihr sympathisches Auftreten und attraktives Äußeres lullen den Zuschauer (und freilich nicht nur den) dennoch erstaunlich schnell ein. Luigi Pistilli [→ LEICHEN PFLASTERN SEINEN WEG] steht als ermittelnder Inspektor Stavros währenddessen dermaßen auf dem Schlauch, dass man fast Mitleid bekommen möchte (vor allem dadurch verdeutlicht, wie er immer wieder vor einem Puzzlebild sitzt und sich vergebens mit dessen korrekter Zusammensetzung abmüht). Zwar wird zugegebenermaßen nicht wirklich geklärt, ob Stavros sich nicht einfach der Columbo-Methode bedient und sich argloser gibt, als er tatsächlich ist, doch wie er hinter jedem Mord ein Sexualverbrechen vermutet (obwohl keines der Opfer in irgendeiner Weise sexuell missbraucht wurde), ist schon sehr drollig.

Ist DER SCHWANZ DES SKORPIONS auch weit davon entfernt, neue Maßstäbe zu setzen, ist er für Giallo-Freunde schon aufgrund der geliebten Ingredienzien absolutes Pflichtprogramm: Wenn der Killer, stilecht schick unterwegs mit Maske, Schlapphut und Klappmesser, sein blutiges Tag- und Nachtwerk verrichtet, spielen inhaltliche Defizite (wie im Sande verlaufende Handlungsstränge) ohnehin höchstens die zweite Geige. Zeitweise von launiger Urlaubsatmosphäre durchzogen, bietet das angenehm abstruse Mörderspiel deutlich überdurchschnittlichen Krimi-Kurzweil mit charmanten Ecken und Kanten und – trotz bescheidener Tricks – erstaunlich heftigen Gewaltspitzen. Schwänzen lohnt sich!

Laufzeit: 91 Min. / Freigabe: ab 18

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