Eigene Forschungen

Sonntag, 9. September 2012

DIE MUTIGEN


ZHONG LIE TU
Hongkong, Taiwan 1975

Regie:
King Hu

Darsteller:
Pai Ying,
Roy Chiao,
Sammo Hung,
Hsu Feng,
Simon Yuen Siu-Tin,
Han Ying-Chieh,
Yuen Biao,
Yuen Wah



Inhalt:

China im 16. Jahrhundert: Marodierende Piratenbanden machen das Land unsicher. Der Kaiser ist ebenso unfähig wie ratlos. General Yu Da You [Roy Chiao], welcher als äußerst integer gilt, erhält den Auftrag, mit List und Tücke gegen die Verbrecher vorzugehen. Yu schart eine Truppe exzellenter Kämpfer um sich. Der beste von ihnen ist der sich geheimnisvoll gebende Schwertkämpfer Wu Yi-Juan [Pai Ying], welcher trotz seiner Bescheidenheit unbesiegbar zu sein scheint. Schon bald kommt es zum Feindkontakt. Nach den ersten Kämpfen verschanzen sich die Piraten um ihren japanischen Anführer Hakatatsu [Sammo Hung] auf einer Insel. Wu fasst den Plan, sich mithilfe eines untreuen Staatsdieners in die Truppe einschleusen zu lassen. Um das Vertrauen der Banditen zu gewinnen, muss er sich nun in einem Wettkampf gegen verschiedene Gegner behaupten.

Kritik:

Regisseur King Hu machte bereits 1966 mit seinem zeitweise recht experimentellen DAS SCHWERT DER GELBEN TIGERIN auf sich aufmerksam. War das später zum kleinen Klassiker sich mausernde Kung-Fu-Spektakel in seiner Gesamtheit jedoch noch dem Stil des produzierenden Shaw-Brothers-Studio verpflichtet, erarbeitete sich Hu spätestens 1971 mit dem meditativen Martial-Arts-Epos EIN HAUCH VON ZEN, welcher auf dem Filmfestival in Cannes als erster chinesischer Actionfilm überhaupt eine Auszeichnung erhielt, seinen Ruf als Regisseur ästhetisch-anspruchsvoller Kung-Fu-Filme (was für das als primitives Gewaltspektakel verschriene Genre bis dahin undenkbar war) und ebnete somit den Weg für spätere Klassiker á la TIGER & DRAGON.

DIE MUTIGEN ist nach DER LETZTE KAMPF DES LEE KHAN der zweite Film, den Hu für die Produktionsfirma Golden Harvest realisierte. 'Schuster, bleib bei deinen Leisten!' dachte sich der Mann dabei wohl und griff hauptsächlich auf sein bereits aus dem Vorgänger bekanntes Stammpersonal zurück – weswegen sich hier auch überwiegend wieder dieselben Darsteller tummeln. Darf EIN HAUCH VON ZEN tatsächlich als eine Art Meilenstein betrachtet werden, erscheint DIE MUTIGEN, trotz zweifelsfrei technisch kompetenter Umsetzung, hingegen fast schon bemerkenswert konventionell. Phasenweise doch arg belang- und einfallslos wirkt die Story, die einen in den ersten Minuten regelrecht mit einem Überfluss an aus dem Off vorgetragenen Informationen erschlägt und deren Vielzahl unzureichend vorgestellter Personen den Betrachter zunächst in einen nicht unerheblichen Verwirrungsmodus versetzt.

So dauert es ein wenig, bis man Personal und dessen Ambition entsprechend zugeordnet hat. Dann jedoch hält das gewiss nicht innovative, aber immerhin kurzweilige Ränkespiel um Kompetenzwettstreit, Eifersuchtsgerangel und gegenseitiges Misstrauen ganz angenehm bei Laune – um einen nach gut einem Drittel Laufzeit erneut zu irritieren: Hat man gerade erst General Yu Da You als vermeintliche Identifikationsfigur auserkoren, verschiebt sich der Handlungsschwerpunkt unerwartet in Richtung des erst recht spät eingeführten Wu Ji-Yuan, welcher als nahezu unbesiegbarer Superkämpfer nun plötzlich die Hauptrolle zu bekleiden scheint. Scheint des Generals wackere Kämpfer-Truppe die Geschichte zu diesem Zeitpunkt verlassen zu haben, taucht sie gegen Ende aus ebenso heiterem Himmel dann doch wieder auf, um das große Finale mitzubestreiten.

Spätestens hier kommt der Actionfreund auf seine Kosten: Die letzte halbe Stunde besteht tatsächlich fast ausschließlich aus kernigem Kampfgetümmel und entschädigt sowohl für die Startschwierigkeiten als auch für die temporäre dramaturgische Holprigkeit. Mit Pfeil und Bogen, Lanze und Schwert, Hand- und Fußkante rückt man sich hier auf die Pelle, mit einer ordentlichen Portion Feuerzauber garniert, rasant geschnitten und auch von Härten nicht befreit – da landet der Wurfstern schon mal in der nächstgelegenen Stirn. Die Choreographie der Kampfszenen übernahm dabei, wie bereits bei DER LETZTE KAMPF DES LEE KHAN, abermals Sammo Hung, welcher sich zu diesem Zeitpunkt bereits einen Ruf als zuverlässiger Qualitätsgarant erarbeitet hatte. Neben dieser Funktion übernahm Hung außerdem auch noch die Rolle des Bösewichts Hakatatsu. Zur käsigen Kalkleiste zurechtgeschminkt bleibt er hier jedoch hinter seinen Möglichkeiten zurück und wirkt als leicht tuckig angehauchter japanischer Piratenschurke wie eine realitätsferne Comicfigur.

In der Rolle des Wu Ji-Yuan sieht man Pai Ying [→ DER RÄCHER AUS DER TODESZELLE], welcher für King Hu nun bereits das vierte Mal vor der Kamera steht. Seine Rolle des trotz seiner ständigen Überlegenheit immer bescheiden bleibenden Schwertkämpfers meistert er mit sympathischer Verschmitztheit (auch wenn seine übertriebene kämpferische Dominanz arg unglaubwürdig wirkt). Die Figur des Generals ist historisch verbürgt – tatsächlich kämpfte während der Ming-Dynastie ein Yu Da You gegen japanische Piraten. Verkörpert wird die Rolle hier gewohnt souverän von Roy Chiao, welcher später als böser Klischee-Chinese in der Anfangsszene von INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES die Titelfigur vergiften durfte („Etwas zu viel getrunken, Dr. Jones?“).

Der geschulte Genre-Freund blickt während des Trips noch in weitere bekannte Gesichter: So ist hier u. a. auch Yuen Siu-Tin, der als 'Drunken Master' in SIE NANNTEN IHN KNOCHENBRECHER Jackie Chan Kung-Fu-Unterricht geben durfte, als abtrünniger Shaolin-Mönch zu bewundern, welcher zunächst seine Kette in Richtung der Wand schleudert, zu seinem Bogen greift und einen Pfeil hinterherschießt. Der Pfeil bohrt sich in die Wand, die zuvor geschleuderte Kette baumelt ein paar Sekunden später an selbigem. Sensationell! Im Wettkampf gegen die Piraten darf Pai Ying dann außerdem gegen Yuen Biao antreten (welcher später in DER SUPERFIGHTER abermals mit Sammo Hung vor der Kamera stand), um sich im Anschluss gegen Yuen Wah [→ KUNG FU HUSTLE] behaupten zu müssen – ebenfalls ein oft gesehenes Gesicht im Hongkong-Kino.

Letztendlich benötigt man, sollte man sich auf DIE MUTIGEN einzulassen gedenken, ein wenig Geduld, bis sich das anfängliche Übermaß an Information und Charakteren entwirrt hat. Wem das gegeben ist, der wird mit zwar nicht wegweisender, doch hochwertiger Prügelware belohnt, die nicht nur, aber vor allem dank des flotten Finales die Reise wert ist. Nur Mut!

Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 16

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