Eigene Forschungen

Montag, 31. Dezember 2012

LIFE OF PI - SCHIFFBRUCH MIT TIGER


LIFE OF PI
USA 2012

Regie:
Ang Lee

Darsteller:
Suraj Sharma,
Irrfan Khan,
Ayush Tandon,
Gérard Depardieu,
Rafe Spall,
Tabu,
Adil Hussain,
Shravanthi Sainath



Inhalt:

Pi Patel [Irrfan Khan] erzählt einem Schriftsteller [Rafe Spall] die Geschichte seines Lebens: Als Sohn eines indischen Zoobesitzers verliert er als Jugendlicher [Suraj Sharma] bei einem Schiffsunglück seine ganze Familie. Er selbst kann sich auf ein kleines Boot retten, gemeinsam mit einem Zebra, einem Orang-Utan, einer Hyäne und einem bengalischen Tiger. Die Hyäne tötet erst das Zebra. Als der Orang-Utan das Zebra retten will, ist er das zweite Opfer. Doch der Tiger, bislang unter einer Plane versteckt, tötet im Anschluss die Hyäne. Nun ist Pi mit einem gefährlichen Raubtier allein auf hoher See – der Beginn einer unglaublichen Reise der Annährung, Hoffnung und Verzweiflung, bei der beide Parteien nach und nach erkennen, dass sie aufeinander angewiesen sind, um zu überleben.

Kritik:

Es soll Leute geben, bei denen flossen Tränen, als Chuck Noland, gespielt von Tom Hanks, in CAST AWAY von seinem Volleyball zwangsgetrennt wurde. Diese Leute möchte man nicht neben sich wissen, wenn sie Zeuge werden, wie Pi Patel sich am Ende LIFE OF PIs von seinem Tiger verabschieden muss.

Tatsächlich sorgt die erst nach langem Prozess entstandene Verfilmung des 2001 erschienenen Romans SCHIFFBRUCH MIT TIGER für ein paar der herzzerfetzendsten Szenen des Kinojahres 2012. In zeitweise schier überwältigenden Bildern erzählt LIFE OF PI ein ausladendes, in religiösen Metaphern und tiefgründigen Symbolen schwelgendes Abenteuermärchen, dessen versöhnliche Botschaft und simple Konklusion noch nachhaltig beeindrucken können. Dabei verkommt die optische Brillanz niemals zum reinen Selbstzweck, sondern erscheint im Hinblick auf die finale Wende sogar fast zwingend notwendig. Der gebotene Prunk erschlägt Geschichte nicht etwa, sondern ordnet sich ihr unter, unterstützt sie, bereitet ihr die Bühne. So beginnt LIFE OF PI – einer der visuell aufregendsten Filme des Jahres 2012 - in beschaulicher optischer Bescheidenheit mit unaufdringlichen Bildern sich friedlich lümmelnder Zootiere und fühlt sich nachfolgend, wenn er den jungen Inder Pi auf seiner Sinnsuche begleitet, zunächst wie ein bunt bebilderter Exkurs in Sachen Religion und südasiatische Gesellschaftsverhältnisse an.

Aus dieser Prämisse heraus entwickelt sich das intensive Psychogramm eines Mannes, der als Kind von der Vielzahl der Religionen dermaßen verwirrt wird, dass er gleich mehrere annimmt, der mit Intelligenz und Ausdauer den albernen Klang seines Namens reinwäscht, um als Jugendlicher schließlich auf hoher See, scheinbar verlassen von der Welt, doch mit unbändigem Lebenswillen, Tod und Wahn zu trotzen. Besonders die turbulenten Ereignisse auf dem Meer sind es dann auch, die sich ins Gedächtnis brennen: Der brutale Überlebenskampf zwischen Zebra, Affe, Hyäne, Tiger und Mensch, groteskerweise im extrem beengten Raum eines Rettungsbootes stattfindend, liefert einzigartige, in ihrer Wirkung oft surreale Bilder von unübertrefflicher Symbolik. Nachdem lediglich Mensch und Tiger überleben, beginnt eine faszinierende, von Rückschlägen und Erfolgen gezeichnete Annäherung beider Parteien, die sich schließlich miteinander arrangieren, als sie erkennen, dass einer auf die tröstende Gesellschaft des anderen angewiesen ist – nicht nur eine großartige Metapher für das respektvolle Zusammenleben von Mensch und Natur, sondern auch ein treffendes Gleichnis für die Zähmung des menschlichen Geistes.

Viele Regisseure waren bereits für die Verfilmung des im Jahre 2001 erschienenen Romans im Gespräch: M. Night Shyamalan [→ THE VILLAGE], Jean-Pierre Jeunet [→ DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE], Alfonso Cuarón [→ CHILDREN OF MEN] – keiner davon wäre eine schlechte Wahl gewesen. Dass der Zuschlag schließlich an Ang Lee [→ SINN UND SINNLICHKEIT] ging, muss dennoch als wahrer Glücksfall der Filmgeschichte gelten: Seine Inszenierung ist sich der Stärke ihrer zugrundeliegende Story jederzeit bewusst und geriet trotz überbordender Bildgewalt doch zugleich behutsam und unaufgeregt. So kleidet Lee selbst die dramatischsten Momente immer noch in Szenen malerischer Ruhe: Wenn Pi den verheerenden Untergang seines Schiffes zeitweise unter Wasser miterlebt, entsteht auf diese Weise ein Bild von fast schon poetischer Anmut. Überhaupt liegen Schönheit und Schrecken hier verblüffend nah beieinander: Der mörderische Sturm, der das Leben von Pi so entscheidend verändern und seine gesamte Familie auslöschen wird, wird von ihm mit ausgelassenem Freudentaumel empfangen, ein springender, fluoreszierender Wal sorgt zwar für einen der imposantesten Augenblicke, gleichzeitig aber auch für den Verlust lebensrettender Nahrungsmittel, und es ist bezeichnend, dass ausgerechnet die tödliche Insel, auf welcher Pi schließlich strandet, für die wohl schönsten Kinobilder des Jahres 2012 sorgen darf.

Schauspieldebütant Suraj Sharma liefert in der schwierigen Hauptrolle eine beeindruckende Leistung ab. Sein emotionales Wechselbad aus Wut, Hoffnung und Verzweiflung geriet so intensiv, dass man fast meint, sich ebenfalls an Bord seines Rettungsbootes zu befinden. Für zusätzliches Erstaunen sorgen die fast ausschließlich am Rechner entstandenen, absolut authentisch wirkenden Tieranimationen, die es einem aufgrund ihrer Detailliertheit und realistischen Bewegungsabläufe fast unmöglich machen zu glauben, dass sich der Hauptdarsteller in Wahrheit nicht mal auch nur in der Nähe eines wildes Tieres befand.

LIFE OF PI endet, nach einer ereignisreichen Fülle sensationeller Bilder und unvorstellbarer Situationen, schließlich mit einer denkbar simplen, doch gerade in ihrer Einfachheit erhabenen Pointe, die als psychologisch geschicktes Wendemanöver nicht nur dem Erlebten einen neuen Sinn gibt, sondern auch allen Kritikern, die sich an den vermeintlich übermäßig verkitschten Panoramen stören möchten, jeglichen Wind aus den Segeln nimmt. Freilich könnte man den religiös-philosophischen Unterton auch ohne jede Schwierigkeit ignorieren und LIFE OF PI einfach als packende Abenteuergeschichte begreifen, als dokumentarisch angehauchte Annäherung von Mensch und Tier oder als romantisches Ethno-Märchen mit leichtem Fantasy-Einschlag – und wäre damit keineswegs im Irrtum. LIFE OF PI funktioniert in viele Richtungen, bedient viele Gemüter und Sichtweisen, ohne sich dabei selbst im Wege zu stehen. Er missioniert nicht, wie man in unbedarftem Überschwang schnell glauben könnte, er führt die Notwendigkeit der menschlichen Fantasie vor Augen. Dass dieses mithilfe solch phänomenaler Schauwerte geschieht (die sich vor allem in der dreidimensional dargebotenen, eindringlich empfohlenen Version entfalten können), soll der Schaden des Publikums nicht sein.

LIFE OF PI gelingt eine erhabene, überaus kluge Kombination aus tiefsinniger Handlung und inszenatorischer Brillanz, deren kleinere Makel (wie der unzureichend ausgebaute Handlungsstrang, in welchem Pi der Liebe begegnet) unter der berauschenden Welle der Impressionen verschwinden – ein fast schon magisch anmutendes Erlebnis, dessen nicht neue, doch überzeugende finale Erkenntnis schließlich das Tüpfelchen auf dem (P)i darstellt.

Laufzeit: 127 Min. / Freigabe: ab 12

Montag, 24. Dezember 2012

DER TEUFELSGARTEN


COPLAN SAUVE SA PEAU
Frankreich, Italien 1967

Regie:
Yves Boisset

Darsteller:
Claudio Brook,
Margaret Lee,
Jean Servais,
Bernard Blier,
Jean Topart,
Hans Meyer,
Klaus Kinski,
Agatha Alma



Inhalt:

Mara [Margaret Lee] stirbt in den Armen ihres Geliebten, des Geheimagenten Francis Coplan [Claudio Brook] – ermordet. Auf der Suche nach den Drahtziehern dieses Verbrechens und dessen Grund lernt Coplan die Schattenseiten Istanbuls kennen. Dubiose Figuren kreuzen seinen Weg, jeder scheint etwas zu wissen, doch alle schweigen. Als Coplan in einem Nachtclub schließlich eine Doppelgängerin Maras kennenlernt, ist ihm klar, dass hier eine große Verschwörung laufen muss …

Kritik:

007? Kennt jeder. 117? Dank ironisierter Wiederbelebung auch ein paar Leuten bekannt. Und FX 18? Der hatte etwas weniger Glück als seine Kollegen und blieb – zumindest in Deutschland – eher unbekannt. Zwar brachte es auch Coplan auf insgesamt sechs Kinoabenteuer, doch die verwirrende Vermarktungspolitik der deutschen Verleiher und die Tatsache, dass die Figur bei jedem seiner Ausflüge von einem anderen Darsteller verkörpert wurde, blieben nicht folgenlos. 

Natürlich ist der französische Agent Francis Coplan auch nur ein weiteres der zahlreichen unverhohlenen James-Bond-Duplikate, wie sie in den 60ern die Lichtspielhäuser zu Dutzenden belagerten, und folgt als solches blindlings den bereits vorgetrampelten Pfaden, ohne dabei etwas sonderlich Neues hinzufügen zu können. DER TEUFELSGARTEN, der letzte Beitrag zur Coplan-Reihe, erlaubt sich allerdings doch so einige unerwartete Verrücktheiten und eine leicht surreale Grundstimmung, was im Nachhinein deutlich mehr Laune macht, als die zwar ähnlich gearteten, doch wesentlich konventionelleren Abenteuer seines Kollegen OSS 117. Bereits nach wenigen Minuten wähnt man sich buchstäblich im falschen Film, wenn Coplan seine ersten Worte spricht und seiner Geliebten, die eben noch verzweifelt um ihr Leben rannte, mit zartem Schmelz in der Stimme entgegensäuselt: „Erinnerst du dich an die Blumen von Acapulco? Dieser farbige Teppich, der uns auf dem Fluss entgegen schwamm? Erst, als wir ganz nahe dran waren, konnten wir die Schiffe erraten.“

Jedoch just, bevor man sich ernsthaft zu fragen beginnt, ob das Drehbuch vielleicht von Rosamunde Pilcher verfasst wurde, befindet man sich auch schon mittendrin im schönsten Spionagesalat: „Hast du mal etwas vom Konsortium gehört?“, fragt die so blumig Angesäuselte. „Vom Konsortium der Gehirne?“, antwortet Coplan erstaunt. Spätestens jetzt ist klar: Die kommenden 105 Minuten bieten allerfeinsten Agentenquatsch mit Soße. Der sich anschließenden Handlung zu folgen, ohne dabei den Faden zu verlieren, ist keine sehr einfache Übung. Selbst Coplan scheint nicht so recht zu verstehen, worum es hier eigentlich geht und stolpert eher unbedarft und mit fragendem Blick von einem Schauplatz zum nächsten. Mag sein Darsteller Claudio Brook auch rein optisch voll und ganz dem gängigen Agentenklischee der 60er Jahre entsprechen (hochgewachsen, brustbehaart, ein süffisantes Lächeln im kantigen Gesicht), erweckt seine Mimik doch überwiegend den Anschein, als sei er soeben mit voller Kraft gegen einen Laternenmast gelaufen und versuche nun verzweifelt sich daran zu erinnern, wer er eigentlich ist, wo er sich befindet und was der ganze Trubel um ihn herum überhaupt soll. So dümmlich aus der Wäsche geguckt, wie Brook es hier quasi im Dauerzustand macht, hätte Sean Connery wohl nicht mal, wäre er des Morgens im rosa Tutu mit auf dem Teppich getackertem Haupthaartoupet aufgewacht.

So erweckt Coplan, während seine Gegenüber ihn mit Informationen versorgen, überwiegend den Eindruck völliger geistiger Abwesenheit, dass man fast gewillt ist, ein Goldstück für seine Gedanken zu reichen. Ihren Höhepunkt findet diese vermeintliche Apathie, als Colplan von einer Szene auf die andere plötzlich ohne ersichtlichen Grund auf einer Bahre liegt und von den Bediensteten seines Kontrahenten, des türkischen Lieutenants Sakki, in Richtung Krankenwagen geschleppt wird. Bar jeder Gegenwehr liegt Coplan auf der Trage, bis ihm – just in dem Moment, in welchem er an der Kamera vorbeigetragen wird – plötzlich doch noch die Merkwürdigkeit der Situation bewusst zu werden scheint, was zur Folge hat, dass er sich beherzt aufrichtet und sich eher zaghaft als erbost die Frage erlaubt: „Sagen Sie mal, was soll das? Ich bin doch nicht krank!“

Nicht verschwiegen werden sollte an dieser Stelle, auf welche raffinierte Art Agent FX 18 im Anschluss aus dieser scheinbar ausweglosen Situation entkommt: Als plötzlich ein Eselskarren auf der Straße steht und der Krankenwagen scharf bremsen muss, nutzt der Topspion geistesgegenwärtig den entstehenden Tumult und schleicht sich ebenso leise wie unbemerkt aus dem Fahrzeug. Auf die berechtigte Frage des Lieutenants, wie es Coplan denn trotz Bewachung gelingen konnte, zu entfliehen, antwortet sein Untergebener dann auch ganz offen und ehrlich: „Er hat die Tür aufgemacht, Herr Lieutenant!“ 

So und so ähnlich amüsiert DER TEUFELSGARTEN dann auch beinahe über die gesamte Laufzeit hinweg auf äußerst angenehme, realitätsinkompatible Weise: Coplan tigert von Station zu Station, trifft merkwürdige Figuren, die merkwürdige Dinge tun und sagen, tut und sagt selbst merkwürdige Dinge, liefert sich zwischendurch arg ungelenk choreographierte Keilereien und hängt bei öffentlichen Ringkämpfen oder in verruchten Nachtclubs herum. Die recht kryptischen Dialoge (die im Original ähnlich abstrakt und nicht nur das Produkt der deutschen Synchronfassung sein dürften) sorgen dabei immer wieder für Heiterkeit, die obskure Story für angenehmes Erstaunen.

Erstaunlich spät wird auch der eigentliche Oberschurke eingeführt: Hugo Gernsbach [Hans Meyer], der auf einer schwer bewachten Festung irgendwo in der Nähe der syrischen Grenze haust. Nachdem Coplan die ortsansässigen Bauern nach dessen Standort befragt hat („Ich suche ein Schloss oder sowas wie eine Burg.“ - „Hööö?“ - „Eine Festung, eine Zitadelle!“) stattet er dem Fiesling schließlich einen Besuch ab – trotz eindringlicher Warnung: „Kein vernünftiger Mensch geht freiwillig in die Gärten des Teufels!“ - „Die Gärten des Teufels?“ - „Seit Jahrhunderten werden sie so genannt.“ - „Und warum?“ - „Man erzählt, dass in diesen Tälern der Teufel umgeht.“ Dort hütet Gernsbach, ein herrlich bizarrer Bösewicht, der eine Gesichtshälfte wie weiland das Phantom der Oper hinter einer Maske aus Kaugummipapier versteckt, in einer verbotenen, durch eine Stahltür gesicherten Kammer ein todbringendes Geheimnis, ein undefinierbares weißes Licht, dessen Bedeutung und Herkunft bis zum Ende nie geklärt wird.

Der kleine Mystery-Schlenker tut dem TEUFELSGARTEN ziemlich gut, zumal die bizarre Sause gegen Ende ohnehin noch mal einiges an Fahrt aufnimmt. Als Gernsbach eine gnadenlose Menschenjagd veranstaltet und Coplan durch Dschungel und Felsgestein hetzen lässt, sorgt das nicht nur für ein gesundes Maß an Nervenkitzel, sondern auch für eine der amüsantesten Szenen des gesamten Spektakels: So versteckt sich Coplan vor seinen Häschern auf einem Baum und erblickt erschrocken eine riesige Spinne. Dass diese eindeutig aus einem anderen Film hineingeschnitten wurde, ist noch nicht wirklich ein Brüller. Als das Tier Coplan jedoch angreift, sieht es plötzlich nicht nur völlig anders aus, sondern hat sich auch in eine unbewegliche Gummispinne aus dem Halloween-Shop verwandelt, die nun wirklich nicht so aussieht, als könne sie irgendjemandem auch nur im Ansatz gefährlich werden.

Ein weiteres Highlight ist unbestreitbar der legendäre Klaus Kinski in einer großartigen Nebenrolle als undurchschaubarer Bildhauer, der erst in liebevoller Kleinarbeit ein Nacktmodell drapiert, um sich im Anschluss seinem undefinierbaren Haufen Klumpatsch zu widmen, der allerdings keinesfalls den Eindruck erweckt, als könne jemals eine brauchbare Skulptur daraus entstehen. Kinski nutzt hier einmal mehr die Gelegenheit, sein verschrobenes Wesen voll und ganz auszuspielen, und es ist eine wahre Freude, ihm dabei zuzusehen. Mit nacktem Oberkörper stolziert er gedankenverloren durch den Raum, den Blick unstet, die Gesichtsmuskulatur nervös zuckend, und sinniert von der Schönheit des weiblichen Körpers und Bindungen, die über den Tod hinausgehen. Wenn er später plötzlich mit einem Kollegen auch noch Barbie-Puppen entkleidet, um zärtlich mit ihnen zu schmusen, hat man als Zuschauer schon längst alle Scham verloren und suhlt sich voller Wonne in diesem sinnfreien Wust erstaunender Skurrilitäten.

Es ist bezeichnend, dass Agent FX 18 nach einer anfänglichen Schlägerei den halben Rest der Laufzeit seinen linken Arm in einer Schlinge tragen muss – besser kann man den verhinderten Versuch, eine ernsthafte 007-Konkurrenz auf die Beine zu stellen, kaum versinnbildlichen. Dass DER TEUFELSGARTEN dennoch vorzügliche Unterhaltung bietet, liegt an dem ansprechend hohen Kuriositätsfaktor, der eine Absehbarkeit der Ereignisse unmöglich macht und an jeder Ecke eine neue, obskure Überraschung bietet. Die Dialoge sind hemmungslos blöd, der Hauptdarsteller ist auf sympathische Weise überfordert und die Handlung wirkt im Nachhinein wie ein wirrer Traum.

Tadellos gerieten hingegen die Bilder von Kameramann Alain Derobe, dem nicht nur, aber vor allem im Finale ein paar sehr schöne Aufnahmen gelangen.

DER TEUFELSGARTEN! Kein Film mit Hirn! Aber mit Gehirnen!

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 16

Donnerstag, 13. Dezember 2012

DER HOBBIT - EINE UNERWARTETE REISE


THE HOBBIT – AN UNEXPECTED JOURNEY
USA, Neuseeland 2012

Regie:
Peter Jackson

Darsteller:
Martin Freeman,
Ian McKellen,
Ian Holm,
Lee Pace,
Hugo Weaving,
Benedict Cumberbatch,
Billy Connolly,
Elijah Wood



Inhalt:

In einer Höhle im Boden, da lebt ein Hobbit. Dieser trägt den Namen Bilbo Beutlin [Martin Freeman] und führt ein recht beschauliches Leben, das sein jähes Ende findet, als plötzlich der Zauberer Gandalf [Ian McKellen] auf der Matte steht – ein großes Abenteuer plane er, so dessen Botschaft, bei welchem er die Anwesenheit des Halblings wünsche. Aufregung und Bilbo Beutlin, das passt nicht zusammen, findet Bilbo, schließlich sind Abenteuer scheußliche, unbehagliche Sachen, die nur dazu führen, dass man zu spät zum Essen kommt. Freundlich, aber bestimmt lehnt er daher ab. Doch dann laden sich ein Haufen Zwerge nebst ihrem imposanten Anführer Thorin Eichenschild [Richard Armitage], Erbe des Zwergenthrons, unangemeldet zum Essen ein und berichten nach erfolgter Speisekammernplünderung von ihrem Dilemma: Erebor, das Königreich der Zwerge, fiel vor vielen Jahren dem Drachen Smaug zum Opfer, welcher den enormen Goldschatz des Volkes witterte und einen brutalen Zerstörungsfeldzug begann. Nun planen die Zwerge die Rückeroberung ihres einstigen Reiches – und Bilbo soll ihnen dabei behilflich sein. Die Berichte der Zwerge und das gute Zureden Gandalfs wecken in dem betulichen Hobbit schließlich tatsächlich die Abenteuerlust, so dass er sich den Reisenden doch anschließt. Der Beginn sagenhafter Ereignisse ...

Kritik:

DER HOBBIT – eine lang erwartete Reise. Mehrere Jahre mussten vergehen, bis DER HERR DER RINGE, die ebenso aufwändige wie aufsehenerregende Verfilmung des vermutlich einflussreichsten Fantasywerks der Literaturgeschichte, seine cineastische Vorgeschichte erhielt. Als Buch bereits einige Zeit vor der wegweisenden Romantrilogie entstanden, wurden die von Autor John Ronald Reuel Tolkien erdachten, in Aufmachung und Narration deutlich gemäßigter präsentierten Ereignisse Bilbo Beutlins, des Onkels Frodo Beutlins, in der Filmversion schließlich – angereichert mit einigen universumkompatiblen Nebenhandlungen und -figuren - als ausladendes, in drei Teile gesplittetes Mammutwerk nachgereicht, wovon EINE UNERWARTETE REISE den Erstling darstellt (der allerdings bereits einen Großteil der Handlung verarbeitet).

Lange Zeit sah es zunächst so aus, als würde Peter Jackson, Regisseur der vielgelobten Vorgängertrilogie, seinen Platz auf dem Regiestuhl jemand anderem überlassen. Dass es letztendlich anders kam, muss als echter Glücksfall gelten. Als eingefleischter Kenner der Vorlage und visueller Schöpfer Mittelerdes besaß allein Jackson die Kompetenz, die in DER HERR DER RINGE erschaffene Welt erneut so zu kreieren, dass sie mit dem Vorgänger völlig widerspruchsfrei kompatibel wurde. Abermals gelang es ihm, unter Nutzung der imposanten Landschaften seines Heimatlandes Neuseeland, Mittelerde in solch aberwitziger Detailverliebtheit zum Leben zu erwecken, dass es unmöglich erscheint, es einfach nur zu betrachten, dass man stattdessen darin eintaucht, hineingesaugt, verschlungen wird, mit Haut und Haar, von Kopf bis Fuß.

So wirken DER HERR DER RINGE und DER HOBBIT nun tatsächlich wie aus einem Guss, wenn sich auch gewisse, freilich der Vorlage geschuldeten Unterschiede, nicht leugnen lassen. Während sich DER HERR DER RINGE in seiner Komplexität und phasenweisen Brutalität überwiegend an erwachsene Leser wandte, schrieb Tolkien den HOBBIT für ein eher jugendlicheres Klientel, was sich in einem deutlich simpleren Handlungsverlauf und humorvollen Grundton bemerkbar macht. Dieses ist auch in der Filmversion zu spüren, besitzen doch viele Szenen, selbst welche, in denen ihre Protagonisten bereits dem Tode ins Auge blicken müssen, bei aller Dramatik immer noch eine gewisse Heiterkeit. Das liegt vor allem darin begründet, dass die meisten der zahlreichen Gegner zwar optisch furchteinflößend wirken mögen, die menschliche Sprache jedoch nicht nur beherrschen, sondern auch anwenden, was zur Folge hat, dass sie ihren abnormen Schrecken größtenteils verlieren. Die drei riesigen Trolle, welche gleich die gesamte Zwergenschar zu vernaschen gedenken, schockieren somit zunächst aufgrund ihres grausigen Äußeren, ihre debilen Dialoge hingegen lassen sie schließlich wie ungezogene Schuljungen wirken.

Mag es manch Berufspuristen auch erzürnen, dass ein für junge Leser gedachtes, eher harmlose Verspieltheit vermittelndes literarisches Werk die Welt des bewegten Bildes als brachiale Bombastwalze erblicken musste, so fand Jackson doch eine wohlbedachte Balance zwischen Epos und Einfachheit, stillt sowohl den Schlachtenhunger der DER HERR DER RINGE-Fans als auch das Harmoniebedürfnis der HOBBIT-Freunde in sorgfältiger Dosierung. Behutsam und fast zärtlich unaufgeregt beginnen die Ereignisse, mit deutlicher Gewichtung des komödiantischen Aspekts wird das folgende Geschehen in geradezu gediegener Gemütlichkeit vorbereitet. Nachdem bei der Rückblende auf den brutalen Freiheitskampf Thorin Eichenschilds das erste Mal Lebenssaft fließen darf, wird der Ton spätestens nach Beginn der Reise deutlich ruppiger, immer wieder wird die Harmonie durch grausige Schreckensszenarien gestört: Köpfe rollen, Blut spritzt, Schwerter graben sich schmatzend in feindliches Fleisch. Zwar geschieht dieses auffallend weniger detailliert als noch im HERRn DER RINGE, verfehlt im starken Kontrast zur ansonsten trotz allem eher friedfertigen Stimmung jedoch seine Wirkung nicht.

Im direkten Vergleich zu DER HERR DER RINGE, welcher selbst in seiner erweiterten Fassung noch durch seine enorme Dichte bestach, muss DER HOBBIT inhaltlich freilich zurückstecken, nicht zuletzt deshalb, weil einem die (durchaus vorhandenen) Schwächen der Buchvorlage hier nun in solch epischer Breite und vollendeter Fabulierlust unter die Nase gerieben werden, dass man sie kaum noch ignorieren kann: Entwickelte sich aus der Geschichte später auch ein überlebensgroßes, äußerst kompliziert verwinkeltes Universum, so bleibt sie doch in ihrem Ablauf reichlich schlicht und noch weit entfernt von der Komplexität der Nachfolger. So geriet EINE UNERWARTETE REISE dann auch vor allem im Schlussteil zu einer zwar zweifelsfrei überaus beeindruckend bebilderten, letztendlich jedoch arg substanzlosen Abfolge wuchtiger Actionsequenzen, die den Freund des gepflegten Adrenalinschubs zwar durchaus zufriedenstellen, in ihrer Pointe jedoch auffallend schwach gerieten: Mag die Gefahr auch noch so groß sein, erfolgt in letzter Sekunde doch immer wieder die Rettung durch bis dahin meist unbeteiligte Dritte – ein nicht gerade durch übermäßige Gewitztheit bestechendes Konzept, welches der Zuschauer dann auch recht schnell durchschaut hat. So hält sich das Hoffen und Bangen um das Schicksal der Helden auf Dauer doch eher in Grenzen, weshalb man schon bald dazu übergeht, sich stellvertretend an der wahrlich umwerfenden Optik der Ereignisse zu ergötzen.

Hochspannung im klassischen Sinne sucht man beim HOBBIT ohnehin vergebens. Was zählt, ist das angenehm-kribbelnde Gefühl, Zeuge epischer Momente zu werden. Bilbos Begegnung mit Gollum, verbunden mit dem Fund des Ringes, der später noch eine so große Rolle spielen soll, ist so ein Moment. Wenn Bilbo den Ring findet und dazu Howard Shores bereits aus DER HERR DER RINGE bekannte schicksalhaft-unheilvolle Melodie erklingt, wenn der Hobbit sich im Anschluss mit dem geradezu erschreckend real animierten Wesen Gollum das berühmte Rätselspiel um sein Leben liefert, wenn man erlebt, wie sehr Gollum leidet in seiner Zerrissenheit, man gleichzeitig sowohl Mitleid empfindet als auch Abscheu und Furcht vor seiner vom Wahn gezeichneten Fratze, dann sind das solch magische, gänsehautbescherende Augenblicke, dann nimmt das dermaßen gefangen, dann taucht man so tief ein in die Ereignisse, dass man in dieser fernen Welt quasi vollkommen versinkt und alles andere um sich herum schlichtweg vergisst.

Zum Gefühl, mit DER HOBBIT in eine vertraute Welt zurückzukehren, trägt nicht allein die ortskundige Regie Peter Jacksons bei, sondern auch die Tatsache, dass viele bereits aus DER HERR DER RINGE bekannte Figuren wieder zurückkehren, die an entscheidender Stelle auch erneut von den altbekannten Darstellern verkörpert werden. Die Idee, die Ereignisse in einer Rahmenhandlung vom alten Bilbo Beutlin erzählen zu lassen, ermöglicht nicht nur erneute Auftritte von Ian Holm und Elijah Wood, sondern schlägt auch gekonnt die Brücke zur Vorgängertrilogie und vermeidet etwaige Verwirrungen bezüglich der Tatsache, dass DER HOBBIT zwar nach DER HERR DER RINGE gedreht wurde, zeitlich jedoch davor angesiedelt ist. Mit Ian McKellen als Zauberer Gandalf gibt es ebenso ein Wiedersehen wie mit Cate Blanchett als Galadriel, Christopher Lee als Saruman oder Hugo Weaving als Elrond. Wichtigster Neuzugang ist Martin Freeman als die jüngere Ausgabe Bilbo Beutlins – welcher als solche schlichtweg hinreißend agiert: Hier ein nervöses Zucken, dort ein verwirrter Blick, immer wieder ein trockener Kommentar zur rechten Zeit - quasi auf Anhieb schließt der Zuschauer den ebenso kauzigen wie liebenswerten Charakter ins Herz.

EINE UNERWARTETE REISE bildet somit einen überaus imposanten Auftakt zur HOBBIT-Trilogie, ein mitreißendes Kaleidoskop packender Panoramen, dessen Bildgewalt man sich nur sang- und klanglos ergeben kann. Durchzogen mit aufwühlender Action, die noch lang im Gedächtnis verbleibt (die geradezu sensationell umgesetzte Flucht aus der Orkhöhle erinnert in ihrer Rasanz und wahnwitzigen Kinetik im besten Sinne an die spektakuläre Lorenfahrt aus INDIANA JONES UND DER TEMPEL DES TODES), dabei in ihren besinnlichen Momenten von liebreizender Behaglichkeit, ist der erste HOBBIT keine unerwartete, aber überaus lohnende Reise, deren lautes Schlachtgetöse und prachtvolles Augenfutter die inhaltlichen Defizite ausreichend zu übertünchen verstehen. Von führenden Reisebüros empfohlen.

Laufzeit: 169 Min. / Freigabe: ab 12

Dienstag, 4. Dezember 2012

THE MAN WITH THE IRON FISTS


THE MAN WITH THE IRON FISTS
USA 2012

Regie:
Robert Diggs

Darsteller:
Robert Diggs, Russell Crowe,
Lucy Liu,
Rick Yune,
Dave Bautista,
Jamie Chung,
Byron Mann,
Daniel Wu,
Gordon Liu



„Bei ner Messerstecherei hab ich immer ne Pistole dabei.“ [Jack Knife]


Inhalt:

China, 19. Jahrhundert: Gold Lion [Kuan Tai Chen], der Anführer des Lion Clans, übernimmt den Geleitschutz für eine Ladung Gold des Gouverneurs. Doch sein Companion Silver Lion [Byron Mann], selbst scharf auf das Gold, wird zum Verräter und lässt Gold Lion durch den Mörder Poison Dagger [Daniel Wu] töten. Als Gold Lions Sohn X-Blade [Rick Yune] von dem Attentat erfährt, sinnt er auf Rache. Er reist nach Jungle Village, wo er Silver Lion vermutet. Doch X-Blade unterliegt Brass Body [Dave Bautista], einem Kämpfer mit magischen Fähigkeiten, der seinen Körper in Metall verwandeln kann. Schwer angeschlagen wird er vom Schmied des Dorfes [Robert Diggs] gerettet, der einst als schwarzer Flüchtling nach China kam. Doch sein Einsatz bekommt ihm teuer zu stehen: Als er sich weigert, X-Blades Versteck zu verraten, hacken ihm Silver Lions Schergen beide Arme ab. Doch der verschlagene Engländer Jack Knife [Russell Crowe], frisch im Dorf eingetroffen, rettet ihm das Leben und schmiedet ihm unter seiner Anweisung zwei metallene Arme, dessen eiserne Fäuste jeden Feind besiegen können. Gemeinsam mit der Prostituierten Silk Blossom [Jamie Chung] und deren Chefin Madame Blossom [Lucy Liu] nehmen sie den Kampf gegen die Unholde auf.

Kritik:

Robert Diggs, alias RZA, neben seiner Funktion als Mitglied und Mitbegründer der Hip-Hop-Combo 'Wu-Tang Clan' auch großer Bewunderer des Martial-Arts- und Exploitationkinos der 70er Jahre, suchte, während bereits seine Musikvideos wiederholt mit Kung-Fu-Elementen kokettierten, auch immer wieder die Nähe zur großen Leinwand. So streifte er durch Jim Jarmuschs verträumte Samurai-Reflexion GHOST DOG und pimpte den Soundtrack des Shaw-Brothers-Kniefalls KILL BILL von Regisseur Quentin Tarantino, in dessen Dunstkreis schließlich auch seine erste eigene Regiearbeit entstand.

Nachdem das GRINDHOUSE-Projekt von Quentin Tarantino und Robert Rodriguez im Jahre 2007 die Hommage an die B-Movies der 70er quasi salonfähig gemacht hatte, erblickten in den darauffolgenden Jahren bereits mehrere auf alt getrimmte Ehrerbietungen an vergangene Bahnhofskinotage das Licht der Filmwelt. Originell war RZAs Idee, im Jahre 2012 einen Kung-Fu-Streifen im 70er-Jahre-Stil zu drehen, somit also nicht mehr wirklich. Das Ergebnis jedoch geriet dermaßen frisch und arglos, dass es einem fast vorkommt, als hätte es einen derartigen Einfall noch nie zuvor gegeben. Diggs bewies nicht nur, wie sehr er die Originale verinnerlicht hat, sondern inszenierte auch mit Geschick und Fingerspitzengefühl: Angefangen vom Titel (inklusive dessen wackeliger Einblendung vor eingefrorenem Hintergrund) über Handlungskonzeption und Schnitttechnik bis hin zur dem klassischen Look entsprechenden Besetzung, gelingt es THE MAN WITH THE IRON FISTS die bekannten Elemente dermaßen perfekt zu imitieren, dass man tatsächlich den Eindruck gewinnen könnte, hier wäre ein vergessenes Kampfsport-Spektakel der Vergangenheit ins neue Jahrtausend katapultiert worden.

Dabei verzichtete RZA darauf, durch absichtliche Bildstörungen, Fehlschnitte oder vermeintlich fehlende Filmrollen den Eindruck zu erwecken, eine alte, verschlissene Kinokopie zu betrachten, wie es viele seiner Kollegen vor ihm taten, und vertraut zur Erweckung seliger Nostalgiegefühle stattdessen ganz auf die klassische Optik, den altmodischen Inszenierungsstil und die antiquierte Handlung, die ebenso dünn und selbstzweckhaft daherkommt, wie es zu früheren Zeiten der Fall war. Die Werke der Shaw Brothers sind es vor allem, denen RZA seinen Respekt zollt, sowie deren zahllose Plagiate, die sich durch immer unsinnigere Kampftechniken und verrücktere Figuren gegenseitig zu übertrumpfen versuchten. Aber auch der zarte Schlenker zum Blaxploitation-Kino (der vor allem erklären soll, warum mit RZA ein schwarzer Protagonist im alten China weilt) gelingt quasi mühelos und bettet sich fast nahtlos ins Martial-Arts-Szenario ein.

Dass die überbordenden Gewaltexzesse nicht wie 40 Jahre zuvor mit Kunstblut und Prothesen getrickst wurden, sondern überwiegend am Rechner entstanden und im Hintergrund statt der Peking Oper moderne Rap-Musik erschallt (wozu natürlich auch der Wu-Tang Clan seinen Beitrag leistet), mag für Puristen empörend klingen, funktioniert jedoch allen Vorurteilen zum Trotz ohne jede Schwierigkeit, was vor allem daran liegt, dass die Verwendung nicht unnötig inflationär, sondern mit Bedacht und Sorgfalt erfolgte: Tatsächlich findet RZA eine wohlige Balance zwischen altmodischen und modernen Elementen, benutzt er letztere doch nicht etwa zur bloßen Anbiederung an den Zeitgeist, sondern zur bestmöglichen Unterstützung klassischer Bestandteile.

Für Fans strotzt THE MAN MIT THE IRON FISTS nur so vor Zitaten und Gastauftritten: Während John Woos THE KILLER lediglich musikalisch gehuldigt wird, hält Shaw-Brothers-Recke Gordon Liu, der bereits Quentin Tarantinos KILL BILL veredeln durfte, sein Antlitz ebenso in die Kamera wie (die gewaltig aus dem Leim gegangene) Blaxploitation-Ikone Pam Grier [→ FOXY BROWN]. Auch die übliche Besetzung ist vortrefflich ausgewählt und Freunden des asiatischen Kinos gewiss nicht unbekannt: Rick Yune [→ NINJA ASSASSIN] hat nach recht ausführlicher Einleitung zwar wenig zu tun, überzeugt auf guter Seite aber dennoch als furchtloser Kämpfer X-Blade, der mit seinem abgefahrenen Messeranzug selbst noch in gefesseltem Zustand seine Gegner plattmacht. Dazu gesellt sich die zierliche Allzweckwaffe Lucy Liu [→ 3 ENGEL FÜR CHARLIE], die als graziöse Bordellinhaberin Madame Blossom ihr geheimnisvoll-exotisches Flair voll ausspielen kann.

Auf der bösen Seite bekommt man Byron Mann [→ CRYING FREEMAN] zu sehen, der als Silver Wolf einen herrlich klassischen Klischeeschurken abgibt, und Daniel Wu [→ NAKED WEAPON], als heimtückischer Poison Dagger die meiste Zeit allerdings unter seiner Kutte verborgen, der seine Gegner – getreu seinem Namen – mit vergifteten Klingen ins Jenseits befördert. Ausgerechnet Zugpferd Russell Crowe [→ GLADIATOR] jedoch, sicherlich aufgrund seiner Popularität beim breiten Publikum in den Cast gehievt, wirkt in dem Szenario wie ein Fremdkörper. Weder mit dem Thema, noch mit dem Genre harmonierend, sorgt seine Präsenz eher für Irritation und reißt einen mehr aus der Illusion, ein altmodisches Kung-Fu-Spektakel zu betrachten, als jeder CGI-Effekt es je könnte. Zwar darf Crowe (der hier einen nicht unbeträchtlichen Wanst vor sich herschiebt) ein paar muntere Einzeiler aus der Lippe fallen lassen und mit seinem rotierenden Monstermesser einigen bluttriefenden Schaden anrichten, wirkt aber dennoch reichlich verloren, zumal auch das Skript nicht viel mit ihm anzufangen weiß.

Fraglos könnte das auch Folge der massiven Kürzungen sein, die THE MAN WITH THE IRON FISTS über sich ergehen lassen musste. Ursprünglich deutlich ausführlicher geplant, merkt man es der Handlung phasenweise schon an, dass sie erst im Nachhinein auf 90 Minuten eingedampft wurde. So werden unzählige durchaus interessante Figuren eingeführt, die im späteren Verlauf jedoch kaum noch ein Rolle spielen oder zur Entwicklung der Story beitragen. Bezogen auf deutsche Verhältnisse ist das auf sarkastische Weise schon fast wieder konsequent: Nicht selten wurden damals hierzulande allzu epische Shaw-Brothers-Werke, die durchaus schon mal an der 2-Stunden-Marke kratzten, auf kompakte Neunzigminüter zurechtgestutzt, so dass sich Motivation und Schicksale der Protagonisten während des verbleibenden Handkantengewitters häufig in Rauch auflösten.

Martial Arts, Blaxploitation und etwas Hokuspokus, mit modernem Sprechgesang verrührt, dazu haufenweise schöne Frauen und überzeichnete Comic-Gewalt, die durch ihre CGI-Wurzeln jeden Schrecken verliert – es ist eine wahre Freude zu sehen, mit welch selbstverständlicher Leichtigkeit diese Mischung funktioniert. RZA war klug genug, sein Werk nicht als polternde Parodie zu inszenieren, welche sich aus arrogantem Überlegenheitsgefühl heraus über die Trivialität der Klassiker amüsiert, sondern eine überaus stilvolle Respektsbekundung zu erschaffen, die sich selbst und ihre Vorbilder ernst nimmt. Im Gegensatz zu Robert Rodriguez’ MACHETE, welcher zwei Jahre zuvor auf eher verkrampfte Art und Weise versuchte, das klassische Exploitation-Kino wiederaufleben zu lassen und dabei (wenn auch auf hohem Niveau) scheiterte, gelingt es THE MAN WITH THE IRON FISTS quasi spielend, den unschuldigen Geist vergangener Kinozeiten wieder zum Leben zu erwecken – als knallbunte, quietschfidele, unbekümmert groteske Posse, deren Mut zu maßloser Übertreibung und Massenuntauglichkeit ein diebisches Vergnügen bereitet.

Passt! Wie die Faust aufs Auge!

Laufzeit: 96 Min. / Freigabe: ab 16