Eigene Forschungen

Montag, 29. September 2014

TI LUNG - DUELL OHNE GNADE


DA JUE DOU
Hongkong 1971

Regie:
Chang Cheh

Darsteller:
Ti Lung,
David Chiang,
Ku Feng,
Yang Chi-Ching,
Cheng Kang-Yeh,
Chuan Yuan,
Yue Wai,
Wang Ping



Inhalt:

Der alternde Gangsterboss Shen Tian Hung [Yeung Chi-Hing] genießt höchstes Ansehen, und zwar nicht nur das seiner Söhne Tang Ren Jie [Ti Lung], Tang Ren Lin [Ku Feng] und Gan Wen Bin [Chuen Yuen]. Als ein vernichtender Schlag gegen den verfeindeten Liu-Clan geplant ist, holt Wen Bin zur Unterstützung den Kämpfer Jian Nan [David Chiang] hinzu. Ren Jie misstraut diesem zwar von Anfang an, doch Nan erhält den Segen seines Vaters. Der Plan gelingt – lediglich Liu Shou Yi [Hoh Ban], der Boss der gegnerischen Bande, kann dem Gemetzel entkommen. Als Shen bei der anschließenden Siegesfeier seinen Rückzug bekannt gibt, wird das Gasthaus von einer von Shou Yi engagierten Killerhorde überfallen. Zwar können die Angreifer besiegt werden, doch Boss Shen bezahlt mit seinem Leben. Um die Behörden ruhig zu stellen, beschließt man, dass jemand die Verantwortung für das Massaker übernehmen muss. Die Wahl fällt auf Ren Jie – dieser soll für drei Jahre die Stadt verlassen, bis Gras über die Sache gewachsen ist. Ren Jie macht er sich auf den Weg und lässt nicht nur seine Familie, sondern auch seine Verlobte Hu Di [Wang Ping] zurück. In der Ferne nimmt er eine neue Arbeit an, muss sich jedoch plötzlich gegen eine Handvoll Killer erwehren. Sein neuer Boss ist offenbar in das Komplott verstrickt – nach einer Tracht Prügel erfährt er von ihm, dass der Mordauftrag von Wen Bin kam. Fassungslos über den Verrat seines eigenen Bruders kehrt er in die Heimat zurück. Dort ist Wen Bin mittlerweile zum neuen Boss aufgestiegen und beherrscht die ganze Gegend. Ren Lin, welcher von Wen Bin mit falschen Anschuldigungen ins Gefängnis gebracht wurde, ist nur noch eine Schnapsleiche, seine Verlobte Hu Di wurde ins Bordell verfrachtet. Ren Jie sinnt auf Rache. Doch welche Rolle spielt der geheimnisvolle Jian Nan, der ihm immer wieder über den Weg läuft?

Kritik:

Heidewitzka, hier geht so richtig die Post ab! Die Shaw Brothers machen mal wieder ein richtig großes Fass auf und lassen eine derartige Megasause vom Stapel, dass selbst der Katze vom ollen Schmidt dabei die Puste ausgeht. Dem Titel darf an dieser Stelle ruhig Glauben geschenkt werden, denn wenn Zugpferd Ti Lung sich mit übergroßen Messern, Beilen und Äxten ins brutale Gefecht stürzt, um seine Feinde gleich reihenweise niederzumähen, dann fliegen buchstäblich die Fetzen: Unermüdlich werden die gewaltigen Klingen ins Fleisch gehackt, kein Leib bleibt ungeschoren bei dem infernalen Gemetzel, das Blut suppt wie blöde, die Leichenberge wachsen ins Unermessliche, und alle fünf Minuten gibt es wieder einen neuen guten Grund, die Klingen zu wetzen und sich gegenseitig die Eingeweide rauszuschnetzeln.

Das alles geriet so rasant, so mitreißend und berauschend gewalttätig, dass sich die eigentliche Handlung dabei des häufigeren schon mal hinten anstellen muss. Zwar ist diese generell auch eher simplerer Natur, überzeugt jedoch durch ihren archaischen Minimalismus: DUELL OHNE GNADE gebärdet sich wie die asiatische Metzelversion einer großen griechischen Tragödie und legt los wie Shakespeare auf Speed. Dabei wurde auch an Zynismus beileibe nicht gespart: So gibt Ti Lungs Figur mitten in wüstestem Kampfgetümmel seinem Mitstreiter auch noch Tipps zur effektiveren Tötung: „Wenn du auf den Bauch zielst, kann es passieren, dass du den Mann nicht mal tötest. Du musst nach oben zielen. Sieh mal: So!“ Und zack, schon ist ne weitere Gurgel aufgeschlitzt.

Angesichts dieses enormen Härtegrades ist es kaum verwunderlich, dass die deutsche Sittenwacht, die die Eastern-Welle ohnehin von Anfang an mit sehr kritischen Augen betrachtete, nicht nur aufgrund des vielen Flüssiggewebes Rot sah. DUELL OHNE GNADE wurde zum Präzedenzfall, wurde quasi noch aus dem Kino heraus beschlagnahmt und ähnlich massakerartig zerschnitten wie Ti Lungs bedauernswerte Opfer, bevor er als völlig sinnentstellter Torso wieder das Publikum beglücken durfte. Die eindeutigen filmischen Qualitäten wurden dabei natürlich mal wieder geflissentlich außer Acht gelassen, und es musste erst einige Zeit vergehen, bis Chang Chehs apokalyptische Schlachtplatte auch hierzulande wieder in voller Länge zu bestaunen war.

Ti Lung [→ DAS BLUTIGE SCHWERT DER RACHE], dessen Name es hier sogar in den deutschen Titel schaffte, war eines der Aushängeschilder der Shaw-Brothers-Studios, die in den 60er und 70er Jahren die Speerspitze für aufwändiges und perfekt inszeniertes Kampfkunstkino darstellten. Als einer der wenigen damaligen Stars schaffte er es, auch nach Ende der großen Kung-Fu-Film-Welle noch im Geschäft zu bleiben und war bis ins hohe Alter immer wieder gern gesehener Gast, nicht nur in asiatischen Produktionen. Stand er zu Shaw-Zeiten meistens noch im Schatten seines Leinwand-Partners David Chiang, durfte er in DUELL OHNE GNADE dafür ordentlich vom Leder ziehen – und nutzte das richtig aus. Fast möchte man ihm Dauerbeifall klatschen; in unfassbarer Coolness beherrscht er jede seiner Szenen und lässt kaum eine Heldenpose aus. David Chiang [→ DIE TÖDLICHEN ZWEI], der zweite große Star der Shaw Brothers, der oft gemeinsam mit Ti Lung zu sehen war, spielt hier ausnahmsweise die deutlich kleinere Rolle. Da sein Charakter sich laut Drehbuch nicht wirklich entscheiden kann, ob er auf guter oder böser Seite steht, verbringt er die meiste Zeit damit, geheimnisvoll in die Gegend zu grinsen.

Anders als bei den meisten Beiträgen des Studios, spielt die Handlung nicht etwa vor dem historischen Hintergrund der Qing-Dynastie, sondern in der damaligen Gegenwart, was eine willkommene Abwechslung zu den immer gleichen Kostümen und Kulissen darstellt und zudem die Möglichkeit bietet, auch modernere Schusswaffen in den Kampfszenen unterzubringen. Einmal mehr findet Regisseur Chang Cheh, der für Shaw auch die großartigen, ähnlich gelagerten Streifen KUAN – DER UNERBITTLICHE RÄCHER sowie DER PIRAT VON SHANTUNG in Szene setzte, dabei die perfekte Balance aus räudiger Exploitation (da werden schon mal Gesichter mit dem Bunsenbrenner bearbeitet) und künstlerischem Anspruch (die Bildkompositionen besonders im Finale sind großartig). Ein paar wenige formale Schwächen (wie die manchmal etwas zu holprigen Musikübergänge) sind zu vernachlässigen, wird einem doch insgesamt kaum eine Verschnaufpause gegönnt.

Ist der Actionanteil ohnehin schon enorm, bäumt sich das Finale dann nochmal so richtig auf: Von Kopf bis Fuß überströmt mit Schweiß, Tränen und Lebenssaft wälzen sich die Kämpfer durch den Schlamm, in allerschönster Zeitlupen-Ästhetik zelebriert und zur überlebensgroßen Blut-Oper hochgezüchtet. Dass die verwendeten Stilmittel nicht selten an die späteren Meisterwerke John Woos erinnern, ist kein Zufall: Chang Cheh war einer seiner Lehrmeister, und den Einfluss merkt man deutlich. Somit ist DUELL OHNE GNADE ein sehr früher Vertreter des Heroic-Bloodshed-Genres, ein gekonnt durchkomponiertes, nur selten pausierendes Blutbad, das für alle Freunde hochstilisierter Gewaltästhetik ein wahres Freudenfest darstellen sollte. 

Laufzeit: 105 Min. / Freigabe: ab 18

Sonntag, 28. September 2014

LAILA - VAMPIR DER LUST


MANTIS IN LACE
USA 1968

Regie:
William Rotsler

Darsteller:
Susan Stewart,
Steve Vincent,
M.K. Evans,
Vic Lance,
Pat Barrington,
Janu Wine,
Stuart Lancaster,
John Caroll



Nein, trotz des deutschen Titels hat man es hier nicht etwa mit Draculas rolliger Tochter zu tun. Der „Vampir“ ist hier wohl eher symbolisch zu verstehen und soll verdeutlichen, dass sich die titelgebende Dame auf nahezu unersättliche Art und Weise auf der Suche nach sexuellen Ausschweifungen befindet. Da LAILA – VAMPIR DER LUST aber gleichzeitig auch als ernsthafte Mahnung vor dem Drogenkonsum verstanden werden möchte, kommen zur Präsentation des gewährt-klassischen Kopulationsmoments auch noch eine gehörige Portion Rauschmittelmissbrauch und daraus resultierend einiges blutiges Schandwerk hinzu. Jede Menge großartiges Zeug also, das einem da versprochen wird, und dermaßen angelockt haben ihrerzeit bestimmt nicht wenige Schaulustige den Gang ins Lichtspielhaus gewagt.

Doch gar seltsam fängt es an: In einem stockdusteren Raum hockt irgendein Heiopei auf einem Stuhl und hat dabei ne Maske auf (und dabei liegt noch nicht mal irgendwo Stroh rum). Noch bevor man sich allzusehr wundern kann, was hier eigentlich gerade los ist, schiebt sich plötzlich ein bebrillter, bekrawatteter und auch ansonsten ungemein seriös aussehender älterer Herr aus der Finsternis ins Bild, der mit bierernster Miene verkündet, dass sich der anwesende Maskenhoschi gerade unter LSD-Einfluss befände und er ihm nun einige Fragen zu dieser Droge stellen werde - „um das Publikum aufzuklären“. Ach, so ist das also! Das Ganze ist eine Dokumentation. Wie schön, etwas Bildung schadet ja nie. Das folgende Interview ist dann auch wahrlich knüppelhart und sprüht nur so vor investigativem Journalismus:

„Wann haben Sie das erste Mal LSD genommen?“ - „Vor etwa zwei Jahren.“ - „Wann alt waren Sie damals?“ - „25.“ - „Wie alt sind Sie jetzt?“ - „27.“

Großartig! Und ähnlich brillant geht es auch weiter; der findige Reporter entlockt seinem Gegenüber so manch erhellende Aussage dazu, warum es sich so richtig lohne, den ganzen lieben langen Tag völlig verstrahlt zu verbringen: LSD habe ihm geholfen, sich besser zu verstehen und außerdem seine Gehirnfunktionen verbessert. Plötzlich könne er in Räume seines Lebensgebäudes gehen, die er zuvor nicht habe betreten können. Einmal habe ihm ein Mädchen vorgetanzt und unter LSD-Einfluss habe sie viel „eindringlicher“ gewirkt, viel „schöner“ und „graziöser“ (Mensch, da hätten ein paar Kännchen Gerstensaft doch auch schon gereicht).

An diesem Punkt der hochbrisanten Enthüllungsreportage wird übrigens ohne verstärkten Grund auf eine tanzende, sich dabei langsam entblätternde Dame geblendet, von der dann bis zum Schluss des lauschigen Zwiegesprächs der beiden Männer in dem dunklen Raum auch nicht wieder weggeblendet wird. Die beiden salbalbern dann auch fröhlich weiter, wobei man unter anderem erfährt, dass das Gehirn bei jedem Menschen verschieden ist und LSD den Zugang zum Unterbewusstsein erleichtert. Irgendwann werden dann auch noch in staubtrockener Begeisterung Statistiken heruntergebetet, die besagen, dass 20,7 % der amerikanischen Jugend aus den Bereichen der Colleges und Universitäten (also Studentenpack) schon mal LSD genommen haben oder innerhalb der nächsten sechs Wochen nehmen werden. Woher diese doch sehr genaue Zeitangabe mit den sechs Wochen stammt, wäre dann tatsächlich mal eine sehr interessante Frage gewesen, allerdings interessiert es zu diesem Zeitpunkt ohnehin schon niemanden mehr, was der Nachrichtenheini da so alles von sich gibt, denn die holde Tänzerin ist jetzt bereits seit einigen Minuten doch ziemlich entblößt und die Kamera wird nicht müßig, ihre wippenden Hüften in Nahaufnahme und aus allen möglichen Perspektiven abzulichten. Wie war das? 20,7 %? Ja ja, schockierend das alles!

„LSD ist gefährlich!“ schimpft die Stimme dann plötzlich in mahnendem Oberlehrerton, gerade in dem Augenblick, in dem die Hüften so richtig wunderbar herumkreisen und das Bild der Tänzerin aufgrund einer optischen Kameraspielerei sogar schon anfängt, sich zu vervielfachen, „gefährlicher, als sich die meisten Menschen vergegenwärtigen.“ Schade, dabei klang das doch bis dahin eigentlich alles ziemlich geil, das mit den Räumen und den Gehirnfunktionen und so. Und die Alte im Bild sieht doch jetzt schon scharf aus, nun stelle man sich das ganze Geschlängel doch nur mal im LSD-Modus vor. Tja, so ziemlich an der Intention vorbeigeschrammt, möchte man meinen. Selbstverständlich nicht wirklich, denn diese war natürlich von Anfang an nur vorgeschoben. LAILA – VAMPIR DER LUST ist Bahnhofskinoplunder, der unter dem Deckmantel der Aufklärung und Warnung gerade versuchte, sein Publikum mit der Neugierde auf illegale Substanzen zu ködern, von denen der brave und gefrustete Familienpapa zwar fasziniert war, aber in der Regel doch ehrfurchtsvoll die Griffel lies.

„Schon in kleinen Dosierungen kann es Nervenzusammenbrüche und Selbstmorde herbeiführen“
, wird man weiter aufgeklärt, um schließlich eine elegante Überleitung zum eigentlichen Hauptprogramm herbeizufaseln. „Wir verfolgen in diesem Film die Lebensgeschichte eines Mädchens, Laila, das außer seiner nymphomanen Veranlagung als normal anzusprechen ist.“ Ach so, nur ein wenig nymphoman, das geht ja noch. Ansonsten aber alles in Butter, ja? Puh, Glück gehabt! „Normal anzusprechen“ ist, nebenbei bemerkt, auch eine richtig knorke Formulierung. Sollte das nicht eher „anzusehen“ heißen? Oder kann man die gute Laila auch unnormal ansprechen, in einer Bar zum Beispiel? Fragen über Fragen, die geklärt werden müssen. Vielleicht ja sogar von dem nun folgenden, so überaus eloquent angekündigten Zelluloid-Opus, das entgegen der Ankündigung doch nicht die Lebensgeschichte der nymphomanen, ansonsten jedoch völlig gesunden Laila erzählt, sondern nur einen kleinen Abschnitt daraus. Die Geburt und die ersten ca. 25 Jahre danach hat man sich nämlich kurzerhand gespart und ihre Geschichte beginnt nun, wie jede gute Geschichte, ganz traditionell auf der Tanzfläche einer Striptease-Bar. Vorhang auf:

Laila [Susan Stewart] ist Tänzerin in einer Striptease-Bar. Eines Tages nimmt sie das erste Mal LSD. Danach beginnt sie damit, Männer zu verführen und sie während des Geschlechtsaktes umzubringen. Das passiert drei Mal hintereinander. Beim dritten Male allerdings wird sie verhaftet. Ende.

Tja, das war sie auch schon, die „Lebensgeschichte“ der armen Laila und gleichzeitig auch die komplette Handlung dieses innovativen Meisterstücks. Mehr passiert hier nämlich tatsächlich nicht. LAILA – VAMPIR DER LUST ist ein wahnsinnig billiger Schundstreifen, der in seiner reißerischen Aufmachung zwar jede Menge Sensationen versprach, letztendlich jedoch kaum etwas davon zu halten vermochte. So funktionierte sie eben, die damalige Bahnhofskino-Masche, und man war damit – aufgrund der sagenhaft kostengünstigen Herstellung der Streifen – auch sehr erfolgreich. In diesem Zusammenhang hat man bei MANTIS IN LACE (wie das Teil fast schon edel im Original heißt) auch so ziemlich alles richtig gemacht, mehr noch: Die inhaltliche Nullnummer taugt geradezu als perfektes Anschauungsprojekt für die Mechanismen des frühen Exploitationkinos, das mit üblichen Zutaten auf Kundenfang ging und dabei gerademal für'n Appel und'n Ei in Szene gesetzt wurde.

Möglich, dass LAILA – VAMPIR DER LUST Ende der 60er Jahre sogar tatsächlich noch ein paar Leute befriedigen konnte. Rein formal wurden die Versprechen, namentlich Sex, Gewalt und Drogen, ja tatsächlich eingelöst. Aus späterer Sicht kann man mit der Umsetzung des Ganzen jedoch nicht mal mehr die eigene Großmutter erschrecken. So beschränkt sich der 'Sex' (wenn man ihn denn spaßeshalber mal so nennen möchte) auf das Räkeln halbnackter (und meistens auch nur halbhübscher) Damen im puffigen Dämmerlicht, die Gewalt auf auf- und niedersausende Mordinstrumente und ab und an ein wenig Kunstblut (war wohl ziemlich teuer, das Zeug, durfte man also nicht allzu oft verwenden) und der Drogenpart auf... nun ja,... kleine Pillen im Champagnerglas.

Produzent des Schmierstücks war Harry H. Novak, der von Anfang der 60er Jahre bis Mitte der 70er eine ganze Wagenladung ähnlicher Heuler auf die Leinwände hiefte: Immer viel nackte Haut, manchmal etwas Gewalt dazu und konsequent handlungsbefreit, um das Publikum nicht zu verwirren. 1968 drehte er zudem die Pseudo-Dokumentation MONDO MOD, aus welcher die beschriebene anfängliche Interview-Szene stammt, die speziell für die deutsche Fassung vor den Hauptfilm gesetzt wurde (das konnte man machen, da MONDO MOD in Deutschland nicht zu sehen war). Selbstverständlich (und eigentlich ist es unnötig, das zu erwähnen) ist die Szene gestellt. Der Mann hinter der Maske ist tatsächlich niemand anders als William Rotsler – der Regisseur von LAILA – VAMPIR DER LUST.

Die deutsche Fassung unterscheidet sich nicht nur aufgrund dieses hinzugefügten Intros von der Originalversion: Quasi alle Szenen, in denen nackte Brüste in Nahaufnahme zu sehen sind, wurden entfernt, darunter auch auch eine komplette und sehr merkwürdige Sex-Szene (merkwürdig deshalb, weil der Herr und die Dame, welche diese bestreiten, bis dahin niemals irgendwo im Film vorkamen und es auch danach nie wieder tun). Dafür enthält die deutsche Fassung jedoch wieder ein paar zusätzliche Szenen, bei denen es sehr rätselhaft ist, woher die überhaupt stammen, unter anderen eine sehr schräge Drogenpartyszene. Insgesamt ist die deutsche Fassung dadurch wesentlich konsumierbarer, da viel straffer geworden. Das Original hingegen versuchte, das inhaltliche Nichts zwischen Schäferstündchen, Tötungsdelikten und polizeilicher Ermittlungsarbeit mit schier endlosen Striptease-Nummern in die Länge zu zerren, was auf Dauer sehr an den Nerven sägt.

Ein großer Nachteil der deutschen Version allerdings ist, dass auch die Mordsequenzen zum Teil drastisch verkürzt wurden. Diese sind nämlich das eigentliche Highlight und der einzige Grund, warum LAILA trotz grassierender Ödnis doch noch sehenswert geriet. So beginnt die arme Lila (im Original wird sie ohne „a“ geschrieben) aufgrund ihrer LSD-Nascherei immer, wenn sie sich mit einem ihrer zahlreichen Freier vergnügt, nach ein paar Minuten heftigst zu halluzinieren. Das totale Lichtinferno entbrennt vor ihrem inneren Auge, bevor sie beginnt, wie von Sinnen mit Schraubendrehern und ähnlichem Handwerkszeug auf ihre Besteiger einzustechen. Diese Szenen sind tatsächlich hervorragend gemacht: Die Gesichter der Männer werden von bizarren Lichtspielen beleuchtet, der Sound wabert unheilvoll, die Schnitte zwischen der Realität und Lilas Horrortrips erfolgen so rasant, dass einem schwindelig wird – denn während Lila die Körper ihrer schreienden Opfer zerhackt, sieht sie sich selbst lediglich auf Kissen oder Kuscheltiere einstechen, was für herrlich surreale Bilder sorgt.

In diesen Momenten entwickelt LAILA – VAMPIR DER LUST gerade aufgrund seiner finanziellen Knappheit seine ganz eigene schäbige Poesie. Doch auch andere Dinge darf man ohne jede Reue positiv hervorheben: So sieht Susan Stewart in der Hauptrolle nicht nur passabel aus, sondern spielt ihre Rolle auch ziemlich gut (und zwar vor allem auch gerade dann, wenn sie die hysterische Tötungsmaschine gibt). Und das verträumt-verruchte Titellied von Vic Lance (der später dann auch die Rolle als Lilas erstes Opfer innehat) ist sogar ohne jede Einschränkung großartig und spukt einem Stunden später noch im Kopf herum.

Erwähnenswert ist noch, dass sich hinter der Kamera ein gewisser László Kovács befand, der später die Karriereleiter emporsteig und bei Kultfilmen wie EASY RIDER oder GHOSTBUSTERS für die Bilder sorgen durfte, bevor er dann am Ende für richtige Horrorfilme wie MISS UNDERCOVER arbeitete. MANTIS IN LACE hingegen will und wollte nie mehr sein, als das, was er auch wirklich ist: Sensationsheischende Marktschreierei mit perfider Doppelmoral, die ihre Entstehungskosten im Idealfall schon beim ersten Besucher wieder einspielt. So bietet das interessante Zeitdokument trotz seiner offensichtlichen Defizite allen Freunden leicht abseitigen Entertainments ohne Scheu vor Schäbigkeit ein durchaus erfreuliches Futter und gefällt als durchgehend unterhaltsamer, von
psychedelischen Szenen und wabernden Klangteppichen begleiteter Trip in abstruse Kinogefilde. Doch, doch... Auch ohne Substanzen ein sehr 'lustiger' Film.

Laufzeit: 83 Min. / Freigabe: ungeprüft

Freitag, 26. September 2014

PANIK IM TOKIO-EXPRESS


SHINKANSEN DAIBAKUHA
Japan 1975

Regie:
Jun'ya Satô

Darsteller:
Ken Takakura,
Ken Utsui,
Sonny Chiba,
Eiji Gô,
Etsuko Shihomi,
Takashi Shimura,
Yoshifumi Tajima,
Tetsurô Tanba



Inhalt:

Der „Hikeri 109“ verkehrt zwischen Tokio und Hakata und ist einer der schnellsten Züge der Welt. Eines Vormittags geht bei der Bahngesellschaft ein Anruf ein. Der bankrotte Geschäftsmann Tetsuo Okita [Ken Takakura] verkündet, dass, sollte die Geschwindigkeit des sich bereits in voller Fahrt befindlichen Zuges unter 80 Stundenkilometer fallen, eine an Bord platzierte Bombe in die Luft gehen werde. 500 Millionen Dollar verlangt er, dann werde er verraten, wo sich der Sprengsatz befindet und wie er entschärft werden kann. Um die Ernsthaftigkeit seines Anliegens zu demonstrieren, lässt der Erpresser zunächst einen Güterzug explodieren. Es bleiben nur wenige Stunden. Für Bahnpersonal, Rettungskräfte und die 1500 Passagiere beginnt ein hochstrapaziöser Nervenkrieg, aber auch für die Erpresser läuft nicht alles so, wie sie es geplant hatten.

Kritik:

Im Ausland gelten die Deutschen als ausgesprochen akkurat und überpünktlich. Dieser Eindruck jedoch dürfte in der Regel revidiert sein, sobald man als Tourist einmal gezwungen war, mit der Deutschen Bahn zu reisen. In Japan hingegen sieht die Sache schon ein wenig anders aus: Eine einzige Minute Abweichung vom Fahrplan gilt dort bereits als Unpünktlichkeit und Verspätungen passieren dermaßen selten, dass sie es bei Vorkommen sogar in die Hauptnachrichten schaffen. In ganz besonderem Maße gilt das für die sogenannten Shinkansen, die Hochgeschwindigkeitszüge. Seitdem sie 1964 erstmals vom Stapel gelassen wurden, erarbeiteten sich die stählernen Geschosse einen legendären Ruf und gelten als eines der pünktlichsten und sichersten Verkehrsmittel der ganzen Welt. Selbst, als es im Jahre 2004 zu einem Erdbeben kam und erstmalig einer der Züge entgleiste, kam es zu keinem einzigen Personenschaden. Auf diese Weise wurde der Shinkansen zu einem Symbol für die technische Überlegenheit der Nation.

Grund genug für Japans Filmproduktionfirma Toei, der Bevölkerung doch mal ein bisschen Angst einzujagen. Eindeutig im Fahrwasser der amerikanischen Katastrophenfilmwelle à la AIRPORT entstand somit im Jahre 1975 das ausladende Action-Vehikel PANIK IM TOKIO-EXPRESS (im Original: 'Die große Shinkansen-Explosion'), in welcher ein vollbesetzter Hochgeschwindigkeitszug zum Instrument einer großangelegten Erpressung wird. Mit aus dem Off erschallender Erklärbär-Stimme über den Alltag und die technischen Gegebenheiten des Bahnbetriebs beginnen die Ereignisse fast schon dokumentarisch, bevor das Pedal bis zum Anschlag durchgetreten wird. Bereits die Grundidee einer sich an Bord des Zuges befindlichen Bombe, die detoniert, sobald ein gewisses Tempo unterschritten wird, spielt mit einem der Kernelemente des Actionfilms: der ungebremsten Geschwindigkeit – ein Einfall, der 1994 für den Hollywood-Erfolg SPEED wieder aufgegriffen wurde.

Während man sich gut 20 Jahre später der Prämisse von PANIK IM TOKIO-EXPRESS bediente, fällt bei diesem ebenfalls die hohe Ähnlichkeit zu einem anderen Werk auf: STOPPT DIE TODESFAHRT DER U-BAHN 123 heißt der nur kurz zuvor entstandene amerikanische Thriller, in dem es Walter Matthau als Sicherheitschef mit einer Bande von U-Bahn-Entführern aufnimmt. Aufgrund der zeitlichen Nähe könnte die Ähnlichkeit zugegebenermaßen auch ohne Weiteres dem Zufall geschuldet sein; dennoch folgt Regisseur Jun'ya Satô (der auch am Drehbuch mitschrieb) in dramaturgischer Hinsicht überwiegend westlichen Vorbildern, versäumt es dabei allerdings nicht, dem Geschehen auch einen asiatischen Stempel aufzudrücken. So beleuchtet der Reißer abseits seines Katastrophenszenarios auch die wirtschaftliche Situation des Landes, wenn in Rückblenden die zum Teil fatalen gesellschaftlichen Verhältnisse geschildert werden, welche die Bombenleger erst in ihre verzweifelte Lage brachten.

Die Zeichnung des Anführers, des insolventen Unternehmers Tetsuo Okita, geriet dann auch überraschend vielschichtig: Von der Rezession aus der Bahn geworfen, von der Ehefrau verlassen, sieht er in seinem Erpressungsplan schließlich den einzigen Ausweg aus seiner finanziellen Misere. Seine Mitstreiter, den politischen Aktivisten Koga und den jugendlichen Kleinkriminellen Fujio, hat er ebenfalls aus der Unterschicht rekrutiert. Gemeinsam bilden sie eine verschworene Gemeinschaft, geeint vom Traum, ihrem verhassten Leben am sozialen Minimum zu entkommen. Vor allem Ken Takakura [→ BLACK RAIN] überzeugt dabei als ambivalenter Kopf der Bande, der abwägend zugleich skrupellos wie nachsichtig agieren muss, denn tatsächlich hat er trotz seiner gefährlichen Aktion nicht wirklich vor, nachhaltigen Schaden anzurichten.

Den leisen Anklängen des Sozialdramas stehen die verzweifelten Maßnahmen im Führerhaus des Schnellzugs und im Kommandozentrum der Bahnzentrale gegenüber, wo in ständiger Atemlosigkeit versucht wird, der schwierigen Situation Herr zu werden. Vor allem Ken Utsui [→ DER GROSSE WALL] als Streckenleiter Kuramochi schält sich dabei schnell als Sympathiefigur heraus, wenn er versucht, mittels klugen Kopfes und trotz aller Panik besonnener Taktiken Schlimmeres, wie den drohenden Aufprall mit einem auf gleicher Strecke nahendem Zug, zu verhindern. Auch die Polizeiarbeit kommt bei alledem nicht zu kurz, wenn die Beamten sich redlich mühen, die Lösegeldübergabe abzuwickeln, um sich dadurch auf die Spur der Verbrecher setzen zu können. Und als besonderes Bonbon sitzt Karate-Ass Sonny Chiba [→ DER UNERBITTLICHE VOLLSTRECKER], der normalerweise ganzen Heerscharen von Bösbuben den Hintern malträtiert, schwitzend und bebend im Führerhaus und zittert herzzerreißend um sein Leben.

Darauf, dem Publikum, wie im amerikanischen Kino üblich, vor Eintreten des Desasters ein paar Identifikationsfiguren zu präsentieren, mit denen man nachfolgend mitleiden und -zittern kann, wurde hingegen verzichtet. Die Passagiere des Unglückszuges bleiben im Großen und Ganzen eine anonyme Masse. Stattdessen setzt man überwiegend auf Temporausch, Panikzustände und verzweifelte Krisengespräche. Zur Ruhe kommen die Protagonisten dabei selten, wobei man zugeben muss, dass die Erregung dabei nicht unbedingt auf das Publikum überspringt. Zum einen liegt das an der Gewissheit, dass ein ungebremster Schnellzug auf den Gleisen im Prinzip nur wenig Schaden anrichten kann, zum anderen daran, dass die Actionszenen sehr auffällig mit Miniaturen getrickst wurden. Nun sind Modelleffekte im Prinzip immer ein sehr willkommene Angelegenheit, aber in solch einem auf Realismus angelegten Sensationsstück kann das der Illusion, Zeuge einer ernsthaften Bedrohung zu werden, doch schon relativ abträglich sein.

Zudem hält das Drehbuch auch noch ein paar Merkwürdigkeiten bereit, wenn beispielsweise mitten in der Lösegeldübergabe aus heiterem Himmel eine dauerlaufende Karate-Truppe auftaucht und sich nach lauten Zurufen seitens der Polizei in das Geschehen einmischt (das ergibt schon allein deswegen keinen Sinn, weil es der Polizei eigentlich daran gelegen war, die Aktion reibungslos über die Bühne gehen zu lassen). Und die einfach mal fesch ins Blaue geratene Maßnahme zur Entschärfung der Bombe darf auch gut und gern mit einem sanften Kopfschütteln quittiert werden. Ein paar arg überkonstruierte Un- und Zufälle sägen zusätzlich an der angestrebten Glaubwürdigkeit, während das Verhalten mancher Protagonisten auch so manches Rätsel aufgibt. Aber diese kleineren Unpässlichkeiten verschmerzt das engagierte Desaster-Epos locker, um am Ende doch sehr souverän in den Zielbahnhof zu fahren (nicht zuletzt, da der tragisch-symbolträchtige Schluss sich noch mal als zusätzliche Trumpfkarte erweist).

Dem deutschen Verleih war das alles viel zu ausufernd. Die zugegebenermaßen nicht gerade kurz und bündig gehaltene Terror-Reise wurde um gut eine Stunde (!) Material erleichtert. Trotz des deutschen Titels blieb von der Panik der Besatzung so gut wie gar nichts mehr übrig, und auch die Hintergründe für die Tat fielen quasi komplett der Schere zum Opfer. Um der Aktion zumindest so etwas Ähnliches wie einen Grund zu geben, legte die deutsche Synchronisation den Erpressern daher auch immer mal wieder einen Plan vom „perfekten Verbrechen“ auf die Lippen – was als Begründung für solch einen Coup doch etwas sehr dürftig daherkommt. Lediglich dem engagierten Label ‚Subkultur Entertainment‘ ist es zu verdanken, dass PANIK IM TOKIO-EXPRESS das Schicksal, als unattraktiver Torso im Billigregal zu verschimmeln, schließlich doch noch verwehrt wurde und seit 2013 auch in Deutschland in voller Pracht und Länge begutachtet werden darf.

Ein bisschen Patina hat der Tokio-Express fraglos angesetzt. Manche Dinge, die man dem technikunerfahrenen Publikum in den 70er Jahren noch vorsetzen konnte, wirken aus zeitlicher Distanz doch etwas hanebüchen, und die Tricks sind auf zwar liebenswürdige, doch illusionsverlustigende Art und Weise durchschaubar. Freunde des zünftigen Katastrophenkrachers und unverhohlene Zeitgeistsympathisanten dürften sich bei dieser Fahrt dennoch (oder gerade auch deswegen) pudelwohl fühlen. Alle Mann an Bord! 


Laufzeit: 146 Min. / Freigabe: ungeprüft

Dienstag, 23. September 2014

SIN CITY 2 - A DAME TO KILL FOR


SIN CITY – A DAME TO KILL FOR
USA 2014

Regie:
Robert Rodriguez,
Frank Miller

Darsteller:
Mickey Rourke,
Josh Brolin,
Eva Green,
Jessica Alba,
Powers Boothe,
Joseph Gordon-Levitt,
Bruce Willis



Inhalt:

Basin City, von allen nur Sin City genannt, ist ein Hort der Sünde, in dem sich Nacht für Nacht unfassbare Geschichten abspielen:

Ein stinknormaler Samstagabend:
Der ehemalige Sträfling Marv [Mickey Rourke] erwacht ohne Bewusstsein neben zwei Leichen und einem Autowrack. Verzweifelt versucht er, die Ereignisse der letzten Stunden zu rekonstruieren.

Eine Braut, für die man mordet:
Privatdetektiv Dwight McCarthy [Josh Brolin] erhält einen Anruf von seiner ehemaligen Geliebten Ava [Eva Green], die ihn um Hilfe bittet. Ihr neuer Liebhaber, der Multimillionär Damien Lord [Morton Csokas], quält sie regelmäßig und sein Chauffeur Manute [Dennis Haysbert] überwacht sie auf Schritt und Tritt. Trotz der Skepsis um den Wahrheitsgehalt ihrer Erzählung erliegt er den Reizen der schönen Frau und lässt sich auf ein riskantes Spiel ein.

Eine lange böse Nacht:
Dem übermütigen Glücksspieler Johnny [Joseph Gordon-Levitt] gelingt es, den korrupten Senator Roark [Powers Boothe] beim Pokern zu besiegen und ihn somit bis auf die Knochen zu blamieren. Das kann der stolze Mann nicht hinnehmen: Er lässt Johnny foltern und bricht ihm dabei die Finger. Doch Johnny gibt nicht auf und stellt sich dem Mann ein zweites Mal.

Nancys letzter Tanz:
Die Stripperin Nancy Callahan [Jessica Alba] will Rache: Einst erschoss sich ihr Beschützer, der Polizist John Hartigan [Bruce Willis], um sie vor Senator Roark in Sicherheit zu wissen. Nancy kauft sich einen Revolver, doch bringt es nicht übers Herz, den Senator zu erschießen. Sie sucht sich Unterstützung beim Ex-Sträfling Marv.

Kritik: 

Neun Jahre können eine lange Zeit sein, wenn man auf etwas wartet. Im Falle von SIN CITY vielleicht sogar ein wenig zu lang. Das wäre zumindest eine Erklärung dafür, dass A DAME TO KILL FOR, die späte Fortsetzung der zu ihrer Zeit phänomenal erfolgreichen Graphic-Novel-Adaption, an den Kinokassen so ernüchternd gescheitert ist. Und das, obwohl Regisseur Robert Rodriguez [→ DESPERADO] seiner schwarz-weiß-bunten Extravaganz bis in die Haarspitzen treu geblieben ist. Dass beide Werke von fast einem Jahrzehnt getrennt werden, merkt man tatsächlich nicht eine einzige Sekunde. Aber vielleicht lag der Misserfolg auch gerade darin begründet: In Zeiten von immer brachialeren Comic-Adaptionen der Marke AVENGERS oder AMAZING SPIDER-MAN wirkte der seinerzeit bahnbrechende visuelle Stil SIN CITYs fast schon ein wenig altbacken.

Sicher, die rebellische filmische Frische ist passé; hier wird nicht neu erschaffen, hier wird aufgekocht. Doch gerade deswegen dürfte Fans des Originals die etwas verwirrend verschachtelte Fort-, Vor- und Zwischensetzung sehr angenehm in den Magen gehen: Der Besuch in SIN CITY 2 wirkt wie ein Wiedersehen mit alten Bekannten – auch, wenn diese nun teilweise andere Gesichter tragen. Von Josh Brolin [→ NO COUNTRY FOR OLD MEN] abgesehen, der die Rolle des Dwight McCarthy von Clive Owen übernahm, fällt dieses jedoch kaum ins Gewicht und geschieht eher dezent im Hintergrund – nicht zuletzt auch deshalb, weil Mickey Rourke [→ THE EXPENDABLES] in seiner wiederkehrenden Rolle als übermenschliche Killermaschine Marv ohnehin jegliche Aufmerksamkeit auf sich zieht. Bereits die von ihm aus dem Off kommentierte Exposition ist ein Feuerwerk an Witz und Wahn und stimmt vorzüglich ein auf den nun folgenden Sumpf der Niedertracht.

Erneut folgen die mehreren einander überlappenden Rache-Geschichten sowohl stilistisch als auch inhaltlich den großen Vorbildern des Film Noir und treiben dessen Elemente dabei dermaßen auf die Spitze, dass SIN CITY 2 zu seiner eigenen Persiflage wird: Jeglicher Rest von Anstand oder Moral scheint von der Welt getilgt; es herrschen Laster, Gewalt und Gier. Die Frauen sind Huren, die Männer bei aller körperlichen Stärke innerlich schwach und psychisch gebrochen. Verbitterung, Korruption und Niedertracht beherrschen das trostlose Leben in den labyrinthartigen Straßenschluchten, wer den Fehler macht, anderen Menschen Vertrauen zu schenken, beißt früher oder später ins Gras. Und mittendrin agiert Eva Green [→ CASINO ROYALE] als verhängnisvolle Super-Femme-Fatale, die in eiskalter Berechnung ihre eigenen Ziele verfolgt und die Herren der Schöpfung gleich dutzendfach ins Verderben stürzen lässt.

Abermals scheint es, als sei die von Frank Miller erschaffene Comic-Welt direkt vom Papier gesprungen und zu übergroßem Leinwandleben erwacht (auch, wenn es dieses Mal nicht für jede Story eine gezeichnete Vorlage gab). Rodriguez zelebriert ein exzessives Spiel aus Licht und Schatten, zwar künstlich bis ins Mark, doch durch die realen Darsteller gleichzeitig auch auf irrationale Weise plausibel. Immer wieder wird die edle Schwarz-Weiß-Optik dabei durch leichte Farbschimmer aufgebrochen: Feuerrote Lippen oder gleißend blondes Haar künden von leisen Momenten der Hoffnung, von einem Hauch von Zuversicht in einer Welt der Finsternis. Doch am Ende zerschmettert die raue Wirklichkeit jede optimistische Gefühlsregung wie Kampfmaschine Marv die Köpfe seiner Gegner.

Wenn man SIN CITY 2 etwas zum Vorwurf machen möchte, dann könnte man freilich bemerken, dass die hier erzählten Episoden deutlich hinter denen des Originals zurückfallen und in ihrer Entwicklung auch überwiegend überraschungsfrei geraten sind. Man könnte erwähnen, dass ein paar der neu aufgegriffenen Handlungsstränge nach hochtrabendem Beginn ohne besondere Raffinessen wieder im Sande verlaufen, was einen ein wenig unbefriedigt zurücklässt. Und man könnte anführen, dass die emotionale Einbindung des Betrachters, wie beim Vorgänger noch vorhanden, dieses Mal nahezu komplett ausbleibt. Man schaut zu, man amüsiert sich, man ergötzt sich an den visuellen Spielereien, doch wirklich involvieren kann einen das Geschehen kaum. Man spürt, dass die alten Geschichten im Prinzip bereits abgeschlossen waren und die neuen lediglich ein Aufguss der bekannten Motive sind, dass man es letztendlich „nur“ mit einem gut gemeinten Nachklapp zu tun hat, der überwiegend Fan-Service betreibt.

Aber dennoch kann man sich unverschämt wohlfühlen in diesem kuriosen Kosmos der Sünden und Sakrilegien, dessen eigentlich beachtlicher Härtegrad durch den entfremdeten Comic-Stil nicht nur verharmlost, sondern sogar zu einem hemmungslosen Vergnügen wird. Das liegt nicht zuletzt auch an den vorzüglichen Darstellern, welche die surrealen Charaktere mit echtem Leben füllen. Neben Mickey Rourke, der als Marv quasi im Alleingang den Großteil A DAME TO KILL FORs auf seinen breiten Schultern trägt und zudem in drei von vier Episoden involviert ist, gefällt vor allem Powers Boothe [→ AUSGELÖSCHT], der hier als fieser Senator so richtig auftrumpfen und das widerliche Scheusal raushängen lassen darf, während er in Teil 1 quasi nur einen Gastauftritt absolvierte. Jessica Alba [→ DIE KILLERHAND] kehrt zurück als Stripperin Nancy, tanzt dabei allerdings besser, als dass sie schauspielert – den von Hass zerfressenen Racheengel nimmt man ihr nicht wirklich ab. Und der Auftritt von Bruce Willis [→ DAS FÜNFTE ELEMENT] als Detective Hartigan kann man eigentlich auch nur als 'pro forma' bezeichnen und dürfte innerhalb von ein paar Stunden absolviert worden sein.

Die entscheidenden neuen Figuren sind der leicht überhebliche Spieler Johnny, der von Joseph Gordon-Levitt [→ LOOPER] zwar nicht überragend, aber ausreichend souverän verkörpert wird, sowie die bereits erwähnte Eva Green als Ava Lord, die es sich wohl auf die Fahnen geschrieben hatte, alle Kino-Verführerinnen der Vorjahre zu toppen und sich am Set hoffentlich nicht erkältet hat. Bedauerlich ist der kurze Auftritt von Vorzeige-Ekelpaket Ray Liotta [→ FLUCHT AUS ABSOLOM], der als betrügender und mordaffiner Ehemann eine für ihn typische Paraderolle ergattern konnte, welche die Handlung allerdings viel zu schnell wieder verlässt.

Im direkten Vergleich muss sich SIN CITY 2 seinem Vorgänger geschlagen geben. Etwas zu stark sexualisiert auf der einen Seite, ein bisschen zu schlicht in der Auflösung seiner Fäden auf der anderen, wird die narrative Perfektion des Originals kein zweites Mal erreicht. Als durchaus willkommene Ergänzung hingegen taugt die betont lässige, angenehm-verruchte Sündensause allemal. Handwerklich nach wie vor makellos, bis unters Dach mit rabenschwarzem Humor befüllt und von nahezu ungebremster Fabulierlust – ein Mord lohnt sich dafür nicht, aber etwas mehr als 90 Minuten Lebenszeit ist das durchaus wert. 

Laufzeit: 102 Min. / Freigabe: ab 18

Samstag, 20. September 2014

TÖTE, AMIGO


¿QUIEN SABE?
Italien 1967

Regie:
Damiano Damiani

Darsteller:
Gian Maria Volonté,
Lou Castel,
Klaus Kinski,
Martine Beswick,
Andrea Checchi,
Spartaco Conversi,
Jaime Fernández,
Joaquín Parra



„Gefällt es dir in Mexiko?“ - „Überhaupt nicht.“


Inhalt:

Mexiko zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Die Revolution ist in vollem Gange. Das Volk lehnt sich mit blutigen Mitteln gegen die Staatsmacht auf. Einer der gefürchtetsten Aufständischen ist El Chuncho [Gian Maria Volenté], der überall für seine Grausamkeit berüchtigt ist. Als er und seine Bande einen Waffentransport der mexikanischen Armee überfallen, erhält er unerwartet Hilfe von dem sich an Bord des Zuges befindlichen Amerikaner Ben Tate [Lou Castel]. Trotz seiner Jugend und seines feinen Outfits wird er in die Bande aufgenommen, nachdem er verspricht, die Aufständischen zu unterstützen, obwohl er von Anfang an deutlich macht, dass es ihm lediglich um das dabei zu erntende Geld geht. Die nun folgende Reise wird zu einer Probe für die Ideale aller Parteien.

Kritik:

Western sind nun nicht unbedingt das, was man von Damiano Damiani grundsätzlich erwarten würde. Der linksliberale Regisseur verdankt seinen Ruhm in erster Linie seinen anklagenden Politthrillern mit solch schlanken Titeln wie GESTÄNDNIS EINES POLIZEIKOMMISSARS VOR DEM STAATSANWALT DER REPUBLIK oder WARUM MUSSTE STAATSANWALT TRAINI STERBEN?, die meist die Verflechtung von Politik und Verbrechen zum Thema haben. Wer jedoch genauer hinsieht, merkt schnell, dass sich TÖTE, AMIGO doch gar nicht so sehr von seinen späteren Werken unterscheidet und seine kritische Botschaft lediglich durch seinen historischen Hintergrund ein wenig vernebelt. Denn obwohl der Regisseur bestritt, er habe mit seinem grimmigen Revolutionsepos die damalige US-Außenpolitik kritisieren wollen, sind die Parallelen zu zeitgenössischen Ereignissen eigentlich unübersehbar.

Damals befand sich der Vietnamkrieg in einer Hochphase. Unter dem Vorwand, lediglich den Einheimischen zu Hilfe kommen zu wollen, trug die amerikanische Regierung auf fremdem Gebiet einen auf eigenen Vorteil bedachten Stellvertreterkrieg aus. Genau zu dieser Zeit erschien TÖTE, AMIGO und erzählte die Geschichte eines arrogant gezeichneten Amerikaners, der die mexikanischen Aufständischen im Kampf gegen ihre eigenen Landsleute unterstützt, dabei jedoch stets den eigenen Nutzen vor Augen hat. Ganz gleich, ob man diesen Umstand nun als gesellschaftliches Statement begreifen möchte oder nicht, fest steht: Selbst, wenn man den politischen Aspekt völlig außer Acht lässt (was auch durchaus möglich ist), bietet die ambitionierte Schlachtplatte durchgehend packende Unterhaltung, die bis zum Schluss in Atem hält und trotz der stringenten Erzählweise nicht mit Überraschungen geizt.

Grund dafür ist in der Hauptsache die tadellos funktionierende Figurenkonstellation, die von grandios besetzten Darstellern getragen wird. Gian Maria Volonté, der bereits in Sergio Leones Meilensteinen FÜR EINE HANDVOLL DOLLAR sowie FÜR EIN PAAR DOLLAR MEHR als Schurke fungieren durfte, glänzt als ungeschliffener Revoluzzer El Chuncho, der in erster Linie für seine Ideale kämpft. Dabei begeht das Drehbuch keineswegs den Fehler, ihn zum erhabenen Helden zu stilisieren. Ganz im Gegenteil wird er als ziemlich skrupelloser und nicht übermäßig intelligenter Geselle gezeichnet, dessen Kaltblütigkeit einen das ein oder andere Mal sprachlos zurücklässt: Ohne jedes emotionale Problem lässt er bereits restlos besiegte oder flüchtige Soldaten über die Klinge springen; ein Unterschied zu den Gewaltakten der Gegenseite ist kaum erkennbar. Es ist daher kein Zufall, dass TÖTE, AMIGO zunächst aus Sicht der überfallenen Soldaten beginnt: El Chuncho hat einen Offizier als lebendes Hindernis auf den Gleisen fixiert; jeder, der den Zug verlässt, um dem Mann zu Hilfe zu eilen, wird gnadenlos über den Haufen geschossen. Als Zuschauer erlebt man mit den zusammengepferchten, um ihr Leben zitternden Männern El Chunchos Grausamkeit quasi höchstpersönlich mit, noch bevor die Figur überhaupt ein einziges Mal auf der Bildfläche erschienen ist.

Noch während dieses bluttriefenden Beginns wird der zweite wichtige Charakter eingeführt: Der Amerikaner Bill Tate, der sich als Gefangener mit an Bord befindet und sich an der Tötung des Zugpersonals kurzerhand beteiligt, ist ein jungenhaftes Milchgesicht und sieht aus wie frisch aus dem Ei gepellt. In feinstem Zwirn unterwegs und sich gewählt artikulierend könnte der Kontrast zum grobschlächtigen El Chuncho größer kaum sein. Aber dennoch (oder gerade deswegen?) imponiert der junge Mann dem Bandenchef so sehr, dass er ihn quasi vom Fleck weg in seine Truppe integriert. Von Anfang an werden dabei die gegensätzlichen Beweggründe beider Partien wortlastig in den Fokus gerückt: El Chuncho geht es um die Befreiung des Landes, Tate, folgend nur noch „El Niño“, das Kind, genannt, interessiert sich für die materiellen Werte, für das Geld, das es dabei zu verdienen gibt.

Dem schwedisch-italienischen Darsteller Lou Castel [→ MÖGEN SIE IN FRIEDEN RUHEN], der diese Rolle interpretiert, wird dabei oftmals ein zu distanziertes Spiel vorgeworfen, doch genau das passt zu dieser Figur wie die berühmte Faust aufs Auge: Tate umgibt eine geheimnisvolle, eine unnahbare Aura, die seine eigentlichen Intentionen stets mysteriös und ungreifbar erscheinen lassen. Weltlichen Genüssen scheint er nicht oder nur selten zu erliegen; während seine Kumpanen feiern, saufen und den Frauen hinterhersteigen, beobachtet er abschätzend und aus Entfernung das Treiben der Menschen, die ihn umgeben. Eine innere Ruhe scheint in ihm zu wohnen, ein Geheimnis ihn zu umgeben. Die Beziehung zwischen ihm und dem Banditen mündet in einer kaum konkret ausgesprochenen, doch unterschwelligen verqueren Freundschaft, die ihren Höhepunkt in dem Moment findet, in welchem El Chuncho einen seiner eigenen Männer über den Haufen schießt, um Tate zu beschützen.

Es ist dieses ungewöhnliche Verhältnis der beiden Protagonisten zueinander, dieses glaubwürdig beschriebene Aufeinanderprallen zweier von Grund auf verschiedener Charaktere, das TÖTE, AMIGO zu so viel explosiver Spannung verhilft und dafür sorgt, dass man interessiert am Ball bleibt, obwohl im Prinzip keine einzige positive Identifikationsfigur existiert: El Chuncho erscheint viel zu naiv und menschenverachtend, als dass man Sympathie für ihn empfinden könnte, während Tate bis zum Schluss viel zu arrogant und auf fast schon unmenschliche Weise emotionslos bleibt, um als Held zu taugen. Exemplarisch dafür ist der Moment, als El Chuncho den reichen Gutsbesitzer Don Filipo töten lassen will, um sich für die Ausbeutung der Arbeiter zu rächen. Seinem Gerechtigkeitsempfinden nach erscheint es dabei völlig legitim, außerdem auch dessen Frau vergewaltigen zu lassen. Nur Tate ist dagegen – nicht aber etwa aus moralischen Gründen. Eine Vergewaltigung ist für ihn schlicht und einfach Zeitverschwendung. Das Schicksal der Frau ist ihm dabei freilich vollkommen gleichgültig.

Es sind also ganz eindeutig keine klassischen Helden in den Hauptrollen, mit denen man sich gleichsetzen könnte. Und dennoch bleibt man bis zum Schluss an ihren Schicksalen interessiert, spürt man doch schon von Beginn an, dass diese kuriose Konstellation in einem gewaltigen Konflikt gipfeln wird. Der Rest der Belegschaft gerät dabei schon fast ein wenig ins Hintertreffen, auch wenn mit Klaus Kinski [→ JACK THE RIPPER] als mordender Priester schon ein sehr starkes Geschütz aufgefahren wird. Vollkommen in seinem Element schleudert er seine Sprengsätze „im Namen des Vaters, des Sohnes und des Heiligen Geistes“, und sorgt für explosive Abgänge gleich im Dutzend-Pack. Die auf Jamaika zur Welt gekommene Martine Beswick, die in LIEBESGRÜSSE AUS MOSKAU und FEUERBALL bereits James Bond Gesellschaft leistete, sorgt als Adelita für die weibliche Note, sieht recht feurig aus, ist für die ansonsten recht männerdominierte Handlung nicht unwichtig und spielt auch überzeugend, klingt in der deutschen Fassung allerdings wie Karl-Heinz. Die übrigen Charaktere bleiben kaum im Gedächtnis, zu sehr konzentriert sich das Drehbuch auf die Hauptfiguren.

Die Stärke TÖTE, AMIGOs liegt darin, dass er kaum Stellung bezieht. Er zeigt Figuren, die unmoralisch, die verwerflich handeln, doch weder verurteilt er dafür die Protagonisten, noch die Situation, in der sie sich befinden. Nüchtern und authentisch wirkend verzichtet er auf Gut-Böse-Klischees, zeichnet ein ambivalentes Bild aller Parteien und beschreibt das blutige Chaos des Umbruchs mit all seinen Paradoxa. Während der deutsche Titel versucht, das Werk erneut in die Baller-Baller-Schiene des typischen Italo-Westerns zu rücken, lautet der Originaltitel (zugegeben: wenig verkaufsfördernd) „Wer weiß?“, was in der Schlussszene seine Entsprechung findet. Dieser Moment schließlich ist dann auch der letzte, bindende Faktor, der in seiner Konsequenz und Aussagekraft ¿QUIEN SABE? zu einem echten Höhepunkt werden lässt. Doch trotz dieser deutlichen Autorenfilmelemente darf jeder, der nun eine kopflastige Intellektuellenkiste erwartet, beruhigt sein: TÖTE, AMIGO ist trotz seines zu Grunde liegenden Anspruchs ein packendes, mit feuriger Action verziertes Stück Kino geworden, mit dem sich jeder anfreunden kann. Wer das weiß, hat Glück.

Laufzeit: 113 Min. / Freigabe: ab 18

Mittwoch, 17. September 2014

ZWIEBEL-JACK RÄUMT AUF


CIPOLLA COLT
Italien, Spanien, BRD 1975

Regie:
Enzo G. Castellari

Darsteller:
Franco Nero,
Martin Balsam,
Sterling Hayden,
Dick Butkus,
Leo Anchóriz,
Romano Puppo,
Emma Cohen,
Helmut Brasch



1976 erschien KEOMA. Mit Enzo G. Castellari auf dem Regiestuhl entstand einer der dreckigsten und nihilistischsten Italo-Western überhaupt, in welchem sich sein Hauptdarsteller Franco Nero durch ein apokalyptisches Szenario aus Tod und Verderben kämpfen musste und dabei eine Menge Leichen zurückließ. Geradezu unglaublich erscheint es in diesem Zusammenhang, dass dasselbe Team fast zeitgleich auch ZWIEBEL-JACK produzierte, der wohl kaum einen größeren Kontrast zu Erstgenanntem darstellen könnte und beinahe den Eindruck erweckt, als sei er lediglich entstanden, da die Crew nach all der Weltuntergangsstimmung einen Ausgleich dringend nötig hatte. So weicht die raue Brutalität hier reinem Blödsinn und der graue Pessimismus grobem Unfug.

Zusammengefasst liest sich das dann so:

Inhalt:

Paradise City ist trotz seines Namens ein reichlich ranziger Ort. Als in dem kleinen Westernstädtchen plötzlich Öl gefunden wird, ist es mit der Ruhe vorbei: Der reiche Industrielle Lamb [Martin Balsam] terrorisiert die Bewohner, um ihnen das Land spottbillig abzukaufen. Der Farmer Foster allerdings weigert sich – und muss dafür mit seinem Leben bezahlen. Plötzlich taucht ein Fremder in der Stadt auf: Zwiebel-Jack [Franco Nero] liebt Zwiebeln über alles, isst sie, trinkt ihren Saft, schläft darin … und will sie deswegen auch anbauen. Zu diesem Zwecke hat er kurz vor Fosters Tod dessen Ranch gekauft. Gemeinsam mit Fosters minderjährigen Söhnen und dem Zeitungsverleger Pullitzer [Sterling Hayden] nimmt Jack den Kampf gegen die Schurken auf – mit Muskelkraft und Zwiebelsaft. 

Kritik:

Um sich auf den überaus subtilen ZWIEBEL JACK-Humor in angemessener Form einlassen zu können, sollten folgende Maxime unbedingt verinnerlicht werden:

  • Western-Helden, die ihre Gegner mittels Mundgeruch besiegen, sind witzig.
  • Sprechende Pferde sind witzig.
  • Furzende Pferde sind witzig.
  • Sprechende Pferde, die, bevor sie furzen, noch sagen „Dann bitte ich mal um Gehör!“ sind noch witziger.
  • Sätze wie „Der Sheriff mag keine Menschenaufläufe – nur Nudelaufläufe mag er“ sind witzig.
  • Verfolgungsjagden im Zeitraffer sind witzig.
  • Fahrräder, die sich während der Verfolgungsjagd in Ponys verwandeln, sind witzig.

Um auch noch die letzten Zweifel auszuräumen: ZWIEBEL-JACK ist krachlederner Klamauk der tiefergelegten Sorte und zieht als solcher hemmungslos vom Leder. Das dafür notdürftig errichtete Story-Gerüst vom schurkischen Ölmagnaten, der die armen Landbesitzer gewaltsam von ihrem Grund und Boden vertreiben will, gehorcht zwar im Grundsatz klassischen Genre-Regeln, bleibt jedoch von Anfang bis Ende bloßes Alibi für allerlei absurde Albereien. So wurde dann auch wenig Rücksicht darauf genommen, die Handlung in ein dramaturgisch durchdachtes Korsett zu zwingen, was vor allem dadurch auffällt, dass sich die Hauptfigur im einen Moment seinen Gegnern stellt (und ihnen dabei deutlich überlegen ist), im anderen Moment aber (immer dann, wenn es dem Drehbuch gerade gefällt) vor ihnen Reißaus nimmt. Was hier zählt, ist nicht der Sinn, sondern der Zweck. Und der Zweck ist ein Maximum an Schabernack.

Freunde von Castellanis düsteren Erfolgen wie JOHNNY HAMLET mögen hierüber womöglich die Nase rümpfen, doch tatsächlich war eine Karikatur der bekannten Muster zum Produktionszeitraum fast unumgänglich: Seit dem Erfolg mit DJANGO hatte sich das Genre aufgrund seiner zahllosen Wiederholungen mit immer ähnlichen Szenarien und Situationen im Prinzip selbst vernichtet; die einsamen Rächer und schweigsamen Revolverhelden lockten kaum noch einen Hund hinter dem Ofen hervor, geschweige denn in die Kinos. Die Popularität der Bud Spencer- und Terence Hill-Filme kam nicht von ungefähr: Der Italo-Western war bereits zu seiner eigenen Persiflage geworden; Filme wie VIER FÄUSTE FÜR EIN HALLELUJA oder MEIN NAME IST NOBODY trugen diesem Umstand lediglich Rechnung. ZWIEBEL-JACK potenzierte den Blödelgehalt dieser Vorlagen nochmal um ein Vielfaches und ließ allzu ablenkendes Beiwerk einfach weg.

So ist es gewiss kein Zufall, dass Franco Nero hier agiert wie Terence Hill auf Speed (wodurch sich der Kreis auf drollige Art und Weise wieder schließt, verdankte Terence Hill ein paar seiner ersten Hauptrollen doch auch seiner optischen Ähnlichkeit zu Franco Nero). Verstärkt wird der Eindruck noch durch den gewohnt beschwingten Soundtrack von den Spencer-/Hill-Stammkomponisten Oliver Onions sowie speziell in der deutschen Fassung durch die bewährte Synchronisation aus dem Hause Rainer Brandt mit Terence Hill-Sprecher Thomas Danneberg in der Hauptrolle, die dem Original auch hier wieder noch so einiges an launigem Spruchgut hinzudichtet.

Dass man für die Hauptfigur kurzzeitig eine Liebesgeschichte erspinnt (Liebe auf den ersten Blick zwischen der Zwiebel und der Verlegerstochter), die dann aber vollkommen im Sande verläuft, hätte man sich freilich sparen können, und der reichlich verspätete Drehbucheinfall, dass Jack ein Mord in die Schuhe geschoben werden soll, ist ebenfalls schnell abgefrühstückt, bietet aber immerhin ein paar Lacher auf Kosten des dauertrunkenen Richters („Nach dem Anhören der Zeugen und dem Urteil der Geschworenen bleibt mir keine andere Wahl, als Sie zum Tode durch den Strang zu verurteilen. Dieser Akt der Ungerechtig... äääh … der Gerechtigkeit wird morgen bei Tagesanbruch vollzogen werden. Viel Vergnügen!“).

Dabei entstand ZWIEBEL-JACK bei allem Ulk nicht vollkommen uninspiriert: Am Drehbuch schrieben Sergio Donati und Luciano Vincenzoni, die bereits Genre-Klassiker wie VON ANGESICHT ZU ANGESICHT oder SPIEL MIR DAS LIED VOM TOD auf dem Kerbholz haben (warum man für solch eine läppische Story zwei solche Ikonen benötigte, ist natürlich eine berechtigte Frage) und die Bilder von Kameramann Alejandro Ulloa junior [→ TÖTE ALLE UND KEHR ALLEIN ZURÜCK] sind teilweise fast schon ein bisschen zu gut für ein Werk diesen Schlages: Bereits die Eröffnungsszene in einer Landschaft aus Bohrtürmen erinnert an großes Kino, und wenn Nero seinen Kontrahenten inmitten zahlreicher, vom Wind durch den Ort getriebener Zeitungsseiten gegenübertritt, dann weht auch ein Hauch episches Flair mit.

Natürlich bleibt Castellanis Werk dennoch ein denkbar anspruchsloses Unterhaltungsprogramm, das vor allem durch seine Besetzung Laune bereitet. Franco Nero holt aus seiner Hauptrolle das Höchstmögliche an Komik heraus und parodiert voller Vergnügen sein Image als harter Kerl vom Dienst. Dass das tatsächlich derselbe Mann ist, der in DJANGO noch völlig verdreckt und desillusioniert einen Sarg durch den Schlamm schleifte, mag man kaum glauben. Auch der Rest der Riege ist sich für kaum eine Albernheit zu schade: Martin Balsam [→ HÖLLENHUNDE BELLEN ZUM GEBET] gibt mit Wonne den hinterhältigen Schurken mit mechanischem Metallarm, der allerdings ab und zu mal irgendwo steckenbleibt und von seinem Butler Adolf (nicht rein zufällig mit Zweifingerbart und Seitenscheitel unterwegs) aus dieser Bredouille gerettet werden muss. Dazu gesellt sich noch Altstar Sterling Hayden [→ DER PATE] als Zeitungsverleger Pullitzer (der Name ist natürlich auch kein Versehen).

Für weiteres Amüsement sorgen die beiden Söhne des Farmers Foster, die das erzwungene Ableben ihres Vaters erstaunlich gelassen zur Kenntnis nehmen, mit Dynamit um sich werfen und in ihrer Abgebrühtheit für so manchen Lacher gut sind. Als Hilfssheriffs agieren dazu zwei geschminkte Supertucken und die Handlanger des Bösewichts präsentieren sich als Motorradbande im Football-Dress. Viel verrücktes Zeug also und fraglos nichts für Feingeister. Wer sich jedoch ohne Scham auch über den seichten Humor der späteren Terence Hill- und Bud Spencer-Vehikel amüsieren kann, ist hier grundsätzlich an der richtigen Adresse. Nicht jeder Gag zündet und manche Dinge (wie die ausufernden Zeitraffersequenzen im Stummfilm-Stil) wirken reichlich altbacken. Was jedoch ständig durchschimmert, ist die pure Lust an der Sinnbefreitheit. Und wem das nicht schmeckt, für den bleibt ja immer noch
KEOMA. „Nich' wahr?“ 

Laufzeit: 88 Min. / Freigabe: ab 12