Eigene Forschungen

Sonntag, 24. Mai 2015

WIE TOLLWÜTIGE HUNDE


COME CANI ARRABBIATI
Italien 1976

Regie:
Mario Imperoli

Darsteller:
Jean-Pierre Sabagh,
Anna Rita Grapputo,
Paola Senatore,
Cesare Barro,
Luis La Torre,
Gloria Piedimonte,
Paolo Carlini,
Mario Novelli



„Wenn ein Mörder stirbt, ist keine Zeit für Tränen.“


Inhalt:

Tony [Cesare Barro], Rico [Luis La Torre] und Silvia [Annarita Grapputo] sind Kinder reicher Eltern. Ihr Leben ist finanziell abgesichert, Sorgen um die Zukunft brauchen sie sich nicht zu machen. Ihre Flucht aus dem privilegierten Alltag besteht aus gewalttätigen Raubzügen oder sadistischen Misshandlungen Unschuldiger bis hin zu deren Tötung. Als sie während eines Fußballspiels die Kasse plündern, erschießen sie auf der Flucht einen Polizisten, woraufhin sich dessen Witwe das Leben nimmt. Der frustrierte Kommissar Muzi [Jean-Pierre Sabagh] setzt sich daraufhin auf ihre Fersen, stellt aber bald fest, dass dem Trio mit rechtsstaatlichen Mitteln nicht beizukommen ist. So greift er schließlich zu unkonventionelleren Methoden ...

Kritik:

Für die Italienische Republik waren die 70er Jahre ein unruhiges, von Spannungen und Gewalt geprägtes Jahrzehnt. Linke und rechte Terror-Organisationen überzogen, teilweise gar auf Initiative korrupter Staatsbeamter, das Land mit Angst und Schrecken; Überfälle, Entführungen und Attentate beherrschten die Schlagzeilen; das Volk lebte in ständiger Furcht vor dem nächsten Anschlag. Die ansässige Filmindustrie reagierte auf diese katastrophalen Verhältnisse auf ihre Weise, schickte beschnauzbarte Rache-Bullen auf wenig zimperliche Verbrecherjagden und füllte so den Wunsch der Bevölkerung nach mehr Sicherheit aus - und sich selbst die Kassen. In diese Phase gesellschaftlicher Zerrüttung fiel auch Wenigfilmer Mario Imperolis grobschlächtiges Zeitbild WIE TOLLWÜTIGE HUNDE über eine jugendliche Dreierbande, die quasi grundlos und aus keiner zwingenden Motivation heraus eine Serie von Verbrechen begeht und dabei peinigt, quält und mordet. Raubzüge, Vergewaltigungen und in Eiseskälte durchgeführte Erschießungen gehören für sie zum Alltag, menschliches Leben hat für sie keinen Wert mehr.

Die Täter sind jedoch nicht etwa Angehörige einer ungebildeten Unterschicht, sondern entwurzelte Sprösslinge aus reichem Hause, die von ihren Eltern ideologisch verblendet wurden. Exemplarisch dafür steht der Charakter des Tony, der zwar in der Schule nur durchschnittliche Prüfungsleistungen erbringt, dessen volle Punktzahl durch einen Anruf seines einflussreichen Vaters trotzdem regelmäßig gesichert ist – was ihm freilich den Strich geht: „Ich will nur, was ich mir verdient hab.“ Die Erkenntnisse, die ihm sein Vater ansonsten noch mit auf dem Weg gibt, sind auch nicht gerade subtiler Natur: „Das ultimative Ziel im Leben ist der Sieg. Der ganze andere Unfug wie Moral, Kultur, soziales Bewusstsein und Religion sind nützliche Werkzeuge, die man bei denen einsetzen muss, die man kontrollieren will.“ Als Folge dieses weisen Rats entlädt sich Tonys Perspektivlosigkeit und die seiner Freunde, in Kombination mit dem Drang nach Aufbegehren gegen Gesellschaft und Obrigkeit, in sadistischen Machtspielchen, die manch Unbeteiligtem zum furchtbaren Verhängnis wird.

Dem gegenüber steht der ermittelnde Kommissar Muzi, der, genervt vom unfähigen System und dessen komplizierten Reglementierungen, den Verbrechen des Mörder-Trios quasi machtlos zusehen muss und infolgedessen schließlich selbst die gesetzlich festgesetzten Limitierungen übertritt. Dabei wird er allerdings nicht etwa zum gnadenlosen Rächer vom Schlage eines Maurizio Merli, der zu dieser Zeit regelmäßig zum italienischen DIRTY HARRY mutierte und den Gaunerbanden mit massivem Schießprügel- und Backpfeifeneinsatz das Fürchten lehrte. Muzi ist kein cooler Killer-Cop, dem man begeistert zujubelt; er bleibt trotz allem eher passiv und will, obwohl er der Einzige ist, der zumindest im Ansatz so etwas wie eine Identifikation ermöglicht, nicht so recht als Heldenfigur taugen. Das geht freilich einher mit dem realistischen Ansatz, den Mario Imperoli und sein Co-Autor Piero Regnoli hier verfolgen: WIE TOLLWÜTIGE HUNDE ist keine überzogene Selbstjustiz-Mär, sondern ein bodenständig-kritischer, manchmal fast schon resignierter Blick auf den zerfahrenen Zustand eines von Terror und Tristesse gebeutelten Landes.

Das zeigt sich bereits zu Beginn, wenn ein paar für die Handlung unwichtige Nebencharaktere beiläufig tadelnde Töne zu politischen und sozialen Missständen erklingen lassen. „Du bist der Einzige in Italien, der sich noch Fleisch leisten kann“, meint ein von Muzi befragter Zoowärter zum gerade gefütterten Raubtier. Und ein Besucher gemerkt beim Anblick einer Giraffe: „Wenn die Regierung uns weiterhin so die Hälse strecken lässt, um was zu essen zu haben, sehen wir bald alle aus wie Giraffen.“ Unterstützt wird das von einer naturalistischen und nur selten filmisch eingesetzten Kamera, die den Akteuren oft sehr nahe auf den Leib rückt und auf diese Weise für eine fast schon dokumentarisch anmutende Stimmung sorgt. Das führt auch dazu, dass die Gewaltakte des Trios einen erschreckend realen Duktus bekommen. Dadurch unterscheidet sich WIE TOLLWÜTIGE HUNDE grundsätzlich von einem Großteil seiner Konkurrenz: Sex und Gewalt wird hier nicht ausschließlich voyeuristisch ausgeschlachtet, sondern wird durch die erzwungene Nähe zu den Protagonisten und den schroffen wirklichkeitsnahen Look auch für das Publikum zur fast schmerzhaften Erfahrung.

Besonders zeigt sich das bei einer Sequenz, die wahrlich unter die Haut geht: Eine junge Frau, die als Geisel dient, versucht aus dem Haus, in welchem sie gefangengehalten wird, zu entkommen, schleicht sich, noch immer geknebelt und mit auf den Rücken gefesselten Händen, die Treppe hinunter, streunt durch die ihr unbekannten Gänge, öffnet leise die Türen, blickt schließlich von einem Fenster hinaus auf die Stadt, auf die Freiheit. Die Kamera beobachtet sie dabei, folgt ihr minutenlang, rückt ihr auf die Pelle, zeigt ihr tränenüberströmtes Gesicht, macht den Zuschauer zum Verbündeten, lässt ihn mit ihr hoffen. Und doch ist es vergebens: Die drei Unholde haben nur darauf gewartet, sie abzufangen, mit ihr gespielt wie die Katze mit der Maus. In abscheulicher Seelenruhe unterziehen sie ihr Opfer einer erniedrigenden Prozedur, rauben ihm erst die Kleidung, dann die Würde, dann das Leben. Die eiskalte Konsequenz dieser Tat und ihrer Präsentation schockiert und verdeutlicht den Unterschied zu den zahlreichen Exploitern, die sich an einem Schauspiel wie diesem in erster Linie ergötzt hätten: WIE TOLLWÜTIGE HUNDE ist nicht frei von spekulativen Elementen, in seiner Gesamtheit jedoch sehr unbequem und dürfte geifernden Gaffern auf der Suche nach misanthropischen Sensationen eher die Schamesröte ins Gesicht treiben.

Etwas Futter für die Fraktion der Schaulustigen gibt es allerdings dennoch. Das Frauenbild, das hier entworfen wird, ist eher zweifelhaft und dürfte den Härtetest im Club der Dorf-Emanzen wohl kaum bestehen. Keine der hier anwesenden Damen bleibt vollständig bekleidet, Paola Senatore darf als Freundin des Kommissars gar minutenlang im Eva-Kostüm durch die Wohnung wandern. Muzi selbst hat dann auch keine größeren Probleme damit, sie als Lockvöglerin auf den Strich zu schicken, um ihr dann, als die absehbare Vergewaltigung schon so gut wie vollzogen ist, erst in letzter Sekunde und damit eigentlich viel zu spät zur Rettung zu eilen. Als sie sich später nicht ganz zu Unrecht bei ihm darüber beschwert, reagiert er mit: „Sei doch nicht so. Ich fühle mich ja ganz schuldig.“ - als habe sie sich lediglich darüber beschwert, dass er ihre Zahnbürste benutzt hat. Da sie gegen Ende des folgenden Gesprächs jedoch durchblicken lässt, dass ihr die Erfahrung einer beinahen Zwangspenetrierung gar nicht so fürchterlich missfiel, wie sie anfangs behauptete, verzeiht sie ihm am Ende doch und belohnt seinen selbstlosen Einsatz schließlich mit körperlicher Hingabe.

Geschmackliche Entgleisungen wie diese passen so gar nicht zu dem ansonsten doch sehr klugen und durchdachten Skript, das mittig allerdings – so viel sei zugegeben - auch ein paar inhaltliche Hänger hat und zu einer recht banalen Nummernrevue verkommt, welche die Gewaltakte des teuflischen Trios einfach nur wiederkehrend aneinanderreiht. Zwischen ihren Taten – und das darf man nun wiederum ohne Reue als genialen dramaturgischen Kniff bezeichnen - schenkte man der Mörderbande ein paar wunderbar harmonische Szenen, die man von Stimmung und Ästhetik her eher in einem Liebesfilm vermutet hätte. Die ansonsten schändlich agierenden Schwerkriminellen toben ausgelassen am Strand, genießen den Sonnenuntergang und sinnieren darüber, warum es nicht immer so friedlich sein kann. Fast vergisst man in diesem Moment für ein paar Sekunden, mit wem man es hier eigentlich zu tun hat, fühlt sich den Dreien sogar verbunden. Das ändert sich freilich, als die Truppe nachfolgend in eine Privatwohnung eindringt und den Besitzer mit Waffengewalt dazu zwingt, seine eigene Freundin zu vergewaltigen.

Es sind nicht nur solch harte Kontraste wie dieser, mit denen WIE TOLLWÜTIGE HUNDE irritiert, auch generell ist es nicht einfach, das Werk passend einzuordnen, zumal - anders als bei der Mehrheit der Polizeifilme - hier nicht der Ermittler im Mittelpunkt steht, sondern der Fokus auf den Tätern liegt. Zumindest in Teilen erinnert das an Stanley Kubricks Klassiker UHRWERK ORANGE, wenn auch abzüglich dessen ausgeflippter Extravaganz – eine Assoziation, die paradoxerweise an ehesten in einer Szene greift, die völlig gewaltfrei daherkommt: Die Jugendlichen spielen in ihrer Wohnung eine Szene aus OTHELLO nach – ein schön schräger, wie aus dem Zusammenhang gerissener Augenblick, der zudem verdeutlicht, dass die Jungs sich das Mädchen nicht nur auf freundschaftlicher, sondern auch auf sexueller Ebene teilen. Während die Killer aufgrund solcher Szenen trotz ihrer schrecklicher Taten interessant erscheinen, bleibt Kommissar Muzi, eigentlich die positive Figur, konturenlos und aufgrund seiner bis zum Schluss vorherrschenden Ohnmacht sogar weitestgehend unsympathisch. Bezeichnenderweise trägt er am Ende dann auch nichts Nennenswertes dazu bei, die Mörder ans Messer zu liefern. Das übernimmt stattdessen eine höhere Gewalt in einer Pointe, die dermaßen plötzlich hereinbricht, dass man sich von ihrer Schlagkraft erst einmal erholen muss.

Nicht nur, aber auch aufgrund seines knalligen Finales ist WIE TOLLWÜTIGE HUNDE ein unerwartet großartiges Stück Kino, ein süffisanter Kommentar zur prekären Lage einer geplagten Nation im Mantel einer rüpeligen Räuberpistole, die ihre Botschaft jedoch nicht, wie viele zeitgleiche Vertreter, im politisch rechten Spektrum verortet, sondern stattdessen eine deutlich differenziertere Sichtweise offeriert. In Deutschland lief das Werk seinerzeit nicht in den Lichtspielhäusern (daher existiert auch keine entsprechende Synchronfassung), was vermutlich auch damit zusammenhängt, dass man sich keinen der damals zugkräftigen Namen auf das Plakat schreiben konnte. Tatsächlich sind die Darsteller eher unbekannt, was ihre ausgezeichneten Leistungen jedoch nicht schmälert und der angestrebten Authentizität zudem überaus zugänglich ist.
Zwischen rüder Härte und geerdetem Realismus findet Imperolis genuines Gesellschafts-Portrait dabei trotz aller Ruppigkeit auch immer noch Augenblicke großer cineastischer Poesie. Diese Hunde gehören losgelassen.

Laufzeit: 94 Min. / Freigabe: ungeprüft

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