Eigene Forschungen

Samstag, 11. November 2017

DIE KLETTE


UN DETECTIVE
Italien 1969

Regie:
Romolo Guerrieri

Darsteller:
Franco Nero,
Florinda Bolkan,
Adolfo Celi,
Delia Boccardo,
Susanna Martinková,
Renzo Palmer,
Roberto Bisacco,
Maurizio Bonuglia



„Ein in der Wahl seiner Methoden unverfrorener Detektiv klärt in Rom mehrere Morde auf. Schablonenhafter Kriminalfilm.“
[Das Lexikon des Internationalen Films lässt mal wieder keine Fragen offen.]


Inhalt:

Kommissar Stefano Belli [Franco Nero] arbeitet bei der Fremdenpolizei, bessert seine Kasse allerdings hin und wieder mit nicht immer ganz astreinen Privataufträgen auf. Eines Tages bittet ihn Rechtsanwalt Avvocato Fontana [Adolfo Celi] um zwei vermeintlich einfache Gefallen: Zum einen soll Belli das britische Fotomodell Sandy Bronson [Delia Boccardo], die aktuelle Bettgespielin seines Sohnes Mino [Maurizio Bonuglia], außer Landes weisen, da diese ihm ein Dorn im Auge ist, und zum anderen die Integrität des Musikproduzenten Romanis [Marino Masé] überprüfen, in den Fontanas Gattin Vera [Florinda Bolkan] eine Stange Geld zu investieren gedenkt. Nachdem Belli zunächst Bronson einen Besuch abgestattet hat (die daran scheiterte, ihn mit Aussicht auf horizontales Vergnügen von seinem Vorhaben abzubringen), macht er sich als nächstes auf zu Romanis. Dieser befindet sich zwar auch in der Horizontalen, ist aber leider tot. Erschossen. Urplötzlich wird der scheinbar so simple Nebenjob zu einem gefährlichen Spiel, denn Kommissar Baldo [Renzo Palmer] von der Mordkommission ist plötzlich ebenfalls vor Ort und Belli gerät unter Verdacht, etwas mit dem Verbrechen zu tun zu haben. Um seine Unschuld zu beweisen und seine Bestechlichkeit zu vertuschen, stellt Belli eigene Ermittlungen an und erfährt mit Verblüffung, wer die Wohnung des Opfers als letztes verlassen hat: Sandy Bronson. Belli beginnt mit der Suche nach den Hintergründen und verfängt sich in einem Netz aus Lügen und Intrigen.

Kritik:

Humphrey Bogart machte es vor, Franco Nero macht es nach. Zwar stammt DIE KLETTE unübersehbar nicht aus der Heimat der Schwarzen Serie, den in schickes Schwarzweiß getauchten Vereinigten Staaten, sondern aus dem sonnigen Italien, ist aber dennoch ein lupenreiner Film Noir mit allem, was was dazugehört: abgebrühte Ermittler, verhängnisvolle Frauen (hier gleich mehrere an der Zahl) und miese Morde, dazu jede Menge Lug und Trug und Niedertracht. Strahlende Helden gibt es hier ebenso wenig wie Anstand oder Moral. Auch Franco Neros Kommissar Belli, ohne jede Frage die Hauptfigur in diesem rücksichtslosen Ränkespiel, beugt das Recht, wie es ihm passt, und hat hauptsächlich den schnellen Taler im Sinn. Dabei geht er alles andere als zimperlich zur Sache, und die Antwort auf die Frage, wie viele Maulschellen er hier verteilt, lautet schlicht und ergreifend: Alle! Tatsächlich gibt es kaum einen Besuch Bellis, der für den Besuchten nicht mit einer zünftigen Ohrfeige oder der Zerstörung des Mobiliars oder beidem endet. Fast könnte man ein Trinkspiel daraus machen: Wer sich traut, sich jedes Mal, wenn die „Klette“ wieder Backenfutter verteilt, einen zur Brust zu nehmen, der dürfte das Ende nicht mehr in vollem Bewusstsein miterleben. Allzu tragisch wäre das nun allerdings nicht, das ist eh ein wenig seltsam (wobei offenbar mehrere Varianten davon existieren). Zudem verliert man ohnehin spätestens ab der Hälfte den Faden, da einen der ganze Bau voller Intrigen, die das Drehbuch im Laufe der Zeit so zusammenspinnt, irgendwann nicht mehr so recht interessieren will.

Das soll nun allerdings nicht etwa heißen, dass DIE KLETTE nichts taugt. Freunde gediegener Krimi- und Noir-Unterhaltung erleben hier sogar ein kleines Fest und Fans üppiger Dekors werden in manchen Szenen ebenso begeistert in die Hände klatschen wie Franco Nero in fremde Gesichter. Übrig bleibt davon am Ende zwar wenig, wenn die „Klette“ mal wieder eskaliert und ihre Umgebung fachmännisch in ihre Einzelteile zerlegt, eine Augenweide bleibt es dennoch. Viel schwieriger als die Suche nach attraktivem Interieur gestaltet sich hingegen die nach einer geeigneten Identifikationsfigur. Zwar ist man als Zuschauer aufgrund der Erzählstruktur zwangsläufig irgendwie auf Kommissar Bellis Seite, wirkliche Sympathien allerdings empfindet man für den reichlich ruchlosen Schnüffler nicht. Belli macht von Anfang an keinen Hehl daraus, sich hauptsächlich für den schnöden Mammon zu interessieren und macht auch im weiteren Verlauf keine nennenswerte charakterliche Entwicklung durch. Auch seine Gewalt- und Zerstörungsorgien ordnen ihn eher in die Kategorie des Psychopathen ein, was seinen Höhepunkt in der Sequenz findet, in welcher er mit dem Auto eine selbstmörderische Amokfahrt unternimmt, um seine Beifahrerin zu einem Geständnis zu bewegen. Dass er dabei andere Verkehrsteilnehmer gefährdet und einige sogar tatsächlich vom Bock holt, scheint ihm völlig egal sein.

Trotz allem ist die Figur des Kommissar Belli allerdings noch weit entfernt von dem DIRTY HARRY-artigen Selbstjustiz-Cop, wie er von Franco Nero (zumindest ansatzweise) ein wenig später in TOTE ZEUGEN SINGEN NICHT portraitiert wurde. Zwar nimmt Belli bereits gewisse Grundzüge vorweg (wie die bewusste Übertretung von Dienstvorschriften oder das rabiate Erzwingen von Geständnissen), insgesamt jedoch agiert er noch viel zu betulich und auf eigenen Vorteil bedacht, um z. B. mit einem Maurizio Merli verglichen zu werden, der später in Italien zum rachsüchtigen Prügel-Polizisten wurde. Das weibliche Geschlecht ist hier zwar ausnahmslos attraktiv und verführerisch, wird aber entweder von eiskalten Biestern vertreten oder von zumindest scheinbar naiven Schönheiten, denen schlichtweg nicht über den Weg zu trauen ist. „It's a man's world“, singt James Brown während des Vorspanns (wobei wohl auch da unterschiedliche Varianten existieren), aber die Wahrheit sieht anders aus. Zwar frönen Belli und seine Kollegen dem gemeinen Machismus bis in die letzte Haarspitze (man beachte die Szene, in der sie in völliger Selbstverständlichkeit mit Glimmstengel zwischen den Fingern im Krankenhauskorridor stehen und bei der vorbeilaufenden Schwester einen Kaffee bestellen), tatsächlich jedoch sind sie hilflose Opfer durchtriebener Weiblichkeit.

Auf keinen Fall sollte man den Fehler begehen, hier ein spektakuläres Action-Vehikel mit jeder Menge Schlag- und Schussabtausch zu erwarten, wie es Franco Nero in späteren Jahren in seine Vita aufnahm. Trotz besagter Autojagd-Sequenz ist DIE KLETTE nämlich ganz im Gegenteil ein in fast schon klassischer Langsamkeit erzählter Detektivfilm, der zudem auch auf ausgespielte Brutalitäten verzichtet. Fans des charismatischen Schauspielers kommen dennoch voll und ganz auf ihre Kosten. Franco Nero ist in so gut wie jeder Szene zugegen, sieht ohne seinen später üblichen Schnauzbart Terence Hill allerdings fast ähnlicher als sich selbst. Dazu gesellen sich Renzo Palmer [→ DIE GEWALT BIN ICH] als gegen Belli ermittelnder, aber ihm irgendwie auch verbundener Kommissar Baldo, und Adolfo Celi [→ DER MAFIABOSS] als stinkreicher und schon allein dadurch zwielichtiger Anwalt. Die feminine Fraktion besteht unter anderem aus Delia Boccardo [→ DIE KILLERMAFIA] als verführerisches Fotomodell, der in Brasilien geborenen Florinda Bolkan [→ JUNGE MÄDCHEN ZUR LIEBE GEZWUNGEN] als geheimnisvolle Anwaltsgattin und der in Prag zur Welt gekommenen Susanna Martinková [→ DJANGO, DER BASTARD] als wahrhaft schnuckelige Sängerin, die hier drollige Sätze sagen darf wie: „Ich bin mal mit ihm ins Bett gegangen. Es war nachmittags.“ Die Inszenierung geriet dazu sehr schick und vor allem die originelle Bild- und Tonmontage gefällt (man beachte die ungewöhnlich aufgelöste Eröffnungssequenz des die Ereignisse in Gang setzenden Mordes).

Warum sich der eigentlich sonst so gewitzt auftretende Kommissar Belli am Ende dann anstellt wie ein blutiger Anfänger, ist vermutlich das größte Geheimnis, das es in DIE KLETTE zu lösen gilt. Sei es drum! Romolo Guerrieris [→ 10.000 BLUTIGE DOLLAR] stilsichere Fingerübung ist, trotz mittiger Spannungs- und Stimmungsschwankungen, am Ende dennoch lohnende Unterhaltung für all jene, die dem klassischen Kriminalkino etwas abgewinnen können und ein Faible dafür haben, wenn zwischen Kippendunst und Alkoholfahne gemeuchelt, ermittelt und verführt wird. Wer was anderes behauptet, dem stattet die „Klette“ einen Hausbesuch ab. Und dann kippt wieder der Watschenbaum um. It's a man's world.

Laufzeit: 101 Min. / Freigabe: ab 18

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